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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Theseus wissen wollte. Jeden Abend lieferte sie ihm den gewünschten Rapport. Ihre anfänglichen Skrupel waren inzwischen weitgehend verflogen. Pasiphaë hat mich von Anfang an gehaßt, sagte sie sich trotzig, wenn sie grübelnd wachlag. Mein Vater kümmert sich nicht um mich, und Asterios war meiner Liebe nicht wert. Was bleibt mir noch? Theseus. Er ist alles, was ich habe. Meine Zukunft. Mein Leben.
    Sie begann, Zwiegespräche mit ihrem ungeborenen Kind zu halten und versuchte ihm zu erklären, was sie bewegte. Es waren schwierige Tage für sie. Immer wieder beklagte sie sich bei Theseus, ohne seine Hilfe für alles sorgen zu müssen. »Da siehst du, wie es ist, wenn Frauen ohne männliche Führung handeln«, gab er ungerührt zur Antwort. »Aber bald wird alles anders! Dann trage ich die Verantwortung, und du brauchst dich nur noch nach mir zu richten. Und glaube nicht, daß ich untätig bin. Nur noch ein bißchen, dann wirst du wissen, was ich erreicht habe.«
    Ein großer Streitpunkt war und blieb das Labyrinth. War Ariadne auch bereit, zur Verräterin zu werden und die kretischen Schiffe den Flammen zu opfern, so schreckte sie doch vor dem Gedanken zurück, unerlaubt das Allerheiligste zu betreten. Zu tief war in ihr die Ehrfurcht vor der Göttin eingebrannt. Auch wenn sie mit Ihren Regeln und Geboten haderte, wenn sie den Dienst in Ihrem Tempel auf Strongyle verabscheut hatte, so blieb die Würde der Großen Mutter dennoch unantastbar. Was Theseus forderte, erschien ihr schlichtweg unmöglich. Immer wieder kreisten ihre Gespräche um diesen Punkt. Er versuchte, sie durch Schmeicheln, Bitten und sogar Drohen zu einer Änderung zu bewegen. »So sieht deine wahre Liebe aus!« schnaubte er, als kein anderes Argument mehr helfen wollte. »Ein dunkles Erdloch, in dem dein Halbbruder hockt, bedeutet dir mehr als unsere gemeinsame Zukunft!«
    »Ich liebe dich, das weißt du«, erwiderte sie unglücklich. »Auf tausend verschiedene Arten bin ich bereit, es dir zu beweisen. Aber ich habe einen Eid geschworen. Ich fürchte die Rache der Göttin. Niemand schändet ungestraft Ihr Heiligtum.«
    »Und wenn ich allein gehe?« sagte er schließlich. »Ohne dich – mich bindet nichts und niemand«, setzte er höhnisch hinzu.
    »Aber du bist doch kein Eingeweihter«, entgegnete Ariadne verblüfft.
    »Eben. Gerade deshalb. Was geschieht, wenn ich beweise, daß es auch ohne Kranichtanz und langatmige Zeremonien möglich ist? Wenn ich die Stiermaske als Beweis dafür mitbringe, daß jeder Kretas Geheimnis entschlüsseln kann? Wie meinst du, würde das deinem Vater gefallen?«
    Wieder spürte sie, wie verschieden sie dachten und fühlten. Wieder verschloß sie absichtlich die Augen davor. Ein Rest von Empörung aber blieb zurück. Was fiel ihm ein, diesem Heißsporn, für den alles nur eine Frage von Wollen und Zupacken war! Gerade noch unterdrückte sie den Impuls, sich als Überlegene zu geben. »Wir sollten realistisch bleiben, Theseus. Du hast noch nicht einmal die Übungen für den Kranichtanz abgeschlossen. Es ist schon unwahrscheinlich, daß du überhaupt ins Zentrum gelangst. Jedoch vollkommen ausgeschlossen, daß du zurück ans Tageslicht findest.« Sie hielt inne. »Es sei denn …«
    »So rede endlich!«
    »… du hättest etwas, woran du dich halten könntest. Eine Orientierung, die es dir erlaubt, den Weg zurück zu finden.«
    »Was könnte das sein? Ein Stab? Eine Lampe?«
    »Nein, nein«, schüttelte sie den Kopf. »Das nützt dir nichts! Es müßte weich sein und beweglich. Die unterirdischen Gänge sind verschlungen und reichen bis weit in den Leib der Erde. Das Labyrinth ist kein Kinderspiel, Theseus, sondern eine Herausforderung auf Leben und Tod.«
    Er zog eine Grimasse, blieb aber stumm.
    »Laß mir Zeit«, bat sie, dankbar für seine Hand, die sie streichelte. »Ich bin ganz sicher, mir fällt etwas ein.«
    Sie quälte sich zwei endlose Tage. Dann schlug ihre Unruhe in Verzweiflung um. Es mußte eine Lösung geben. Warum nur wollte sie ihr nicht einfallen?
    Sie nahm ein frisches Tontäfelchen zur Hand und ritzte mit dem Griffel die Eigenschaften untereinander, die ihr am wichtigsten erschienen. Theseus brauchte etwas, das ihn hinein-, vor allen Dingen aber sicher wieder herausführen würde. Es durfte nicht zu schwer sein. Er mußte es verstecken können. Es sollte Anfang und Ende verbinden und im Dunklen zu erkennen sein. Etwas zum Berühren. Zum Festhalten.
    Es war kühl geworden im Zimmer. Ariadne stand auf

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