Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
Ariadnes Stimme zu hören. »Mit der Linken spulst du den Faden ab.«
    Er lockerte das Knäuel in der Bauchtasche und ließ den Faden hinter sich schleifen. So war es richtig. Bis zur nächsten Biegung, sang es in seinem Schädel. Und dann wieder bis zur nächsten. Nichts mehr denken. Nur langsam gehen und tasten.
    Dann stießen seine Zehen plötzlich an etwas Pelzartiges. Angeekelt blieb er stehen. Er hätte alles für ein Paar Stiefel gegeben, wie sie daheim die Männer zum Reiten trugen. Nichts als ein Tierkadaver, sagte sein Verstand. Ein menschliches Leichenteil widersprach seine Phantasie. Einer, den sie hier schon vor dir geopfert haben.
    Nie zuvor hatte er sich so verlassen gefühlt, nicht einmal, als Aigeus’ Männer mit Fingern auf den unerwünschten Bastard gezeigt hatten. Alles in ihm war schwarz und tot. In seiner Angst hatte er die Hand von der Wand genommen. Immer dichter schien die Schwärze und die Stille um ihn zu werden. Ging es aufwärts? Weiter abwärts?
    Er bebte. Nahm aber seinen ganzen Willen zusammen.
    Da war sie wieder, die rissige Wand! Das war rechts. Hier oben. Dort unten. Er hätte heulen können vor Erleichterung. Er schwitzte. Gönnte sich einen Schluck Wasser. Sofort war sein Kopf klarer, und er erinnerte sich an Ariadnes Worte. »Es wird allmählich immer niedriger, weil der Myste lernen muß, seinen Hochmut zu besiegen. Mach dich so klein, wie du kannst.«
    Langsam ging Theseus zu Boden, die Rechte weiterhin an der Wand. Es war mühsam, zu kriechen. Der Bauchsack behinderte ihn. Er schwamm in seinem Schweiß. Dazu kamen die harten Steinchen, die sich in seine Beine bohrten. Er zog den Kopf weiter ein. Wie eine Schabe klebte er am Untergrund. Seine Hand ertastete einen niedrigen Tunnel, der sich knapp über seinem Kopf schloß. Er robbte schnaufend weiter.
    Dann streifte ein kühler Lufthauch sein Gesicht. Der Raum weitete sich. Theseus kam langsam wieder auf die Beine.
     
    Dieses Mal war es anders. Asterios spürte es. Noch bevor sein Gefühl ihm verriet, daß die Schlangenpforte sich wieder geöffnet hatte, wußte er, daß etwas Ungewöhnliches passiert war. Er konnte in der Dunkelheit sehen. Aber er hatte das Bedürfnis, seine Augen zu schließen. Als er wieder zu sich kam, fühlte er sich noch immer matt.
    Er begann zu beten, aber seine Gedanken schweiften ab, hinaus in die dunklen Gänge und Stollen, wo irgendwo der andere herumtastete. Er war noch ein ganzes Stück von seinem Ziel entfernt, aber er schien überraschend gut voranzukommen.
    Nur noch einer, sagte sich Asterios. Der allerletzte. Wenn er das Prinzip der Umkehr erkannt hat, ist auch für dich das Dunkel vorerst vorbei.
    Theseus war vom Weg abgekommen. Der Stollen hatte sich wieder leicht gesenkt, und er war davon ausgegangen, daß es weiter abwärts führen würde. Er war zu spät abgebogen. Er hätte nicht sagen können, woran er seinen Irrtum erkannt hatte. Es war nichts als ein Gefühl gewesen, das ihn dazu brachte, innezuhalten. Ariadne hatte ihm eingeschärft, besonders auf die Höhenunterschiede zu achten, und, wenn er sich nicht verzählt hatte, waren es bislang zwölf verschiedene Ebenen gewesen. Stufen und Rampen verbanden sie untereinander, aber es gab zwischendrin auch spiralförmig gewundene Gänge, die ihn verwirrt hatten. Zuerst hatte er den Eindruck, immer wieder die gleiche Stelle zu passieren.
    Es dauerte eine Weile, bis er wieder Ariadnes Erklärung zusammenbekam. Sie hatte etwas von Wegschleifen erzählt, die das Zentrum umrundeten, und ihn näher heranbrachten, um ihn mit der gleichen Bewegung scheinbar ebenso weit wieder davon wegzuführen. Er war nicht ganz klug daraus geworden. »Sieben Tage hat die Woche. Sieben Planeten ziehen ihre Bahn am Himmel. Zweimal siebenmal ist dein Weg lang.«
    Auf jeden Fall bedeutete das, daß das Zentrum nicht mehr allzuweit sein konnte. Aber zuerst mußte er noch einmal zurück, um die richtige Abzweigung zu finden. Obwohl er sich an die Dunkelheit und die drückende Stille gewöhnt hatte, haßte er diese lange, ungemütliche Wanderung. Wenn man es überhaupt so nennen konnte. Gekrochen war er bereits, gerutscht, auf Zehenspitzen nach oben gestiegen, um sich wenig später wie ein Wurm zu schlängeln. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren. Manchmal kam es ihm so vor, als spule er nicht den Faden hinter sich ab, sondern als zöge ihn ein unsichtbares Seil tiefer und tiefer in den Leib der Erde.
     
    Plötzlich wurde es leuchtend blau. Das Licht überfiel Asterios

Weitere Kostenlose Bücher