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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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eingehen.«
    »Gut für euch«, stieß Daidalos hervor. »Ihr segelt sicher nach Norden. Und was ist mit mir? Wird euer Verrat entdeckt, führt die Spur unweigerlich zu mir. Auch Minos weiß, wer als Verräter in Betracht kommt.«
    »Du bist mit an Bord«, sagte Theseus mit Nachdruck. »Oder hast du keine Lust, deine Heimatstadt wiederzusehen – nach so langer Zeit?« Er ließ ihn nicht aus den Augen.
    Nach Hause zurückkehren – wieder planen, konstruieren, Häuser errichten, anstatt sich mit Erz und Schmieden herumzuplagen – kein Sklave mehr, sondern ein freier Mann! Er seufzte. Aber sofort kam Talos ihm in den Sinn, und er hörte wieder den Aufprall seines Körpers auf den Klippen. Dieses Geräusch, das ihn immer wieder aufschrecken würde. Nicht einmal Patanes Hiebe hatten ihn davon erlöst. Er war ein Mörder. Ein Preis war auf seinen Kopf ausgeschrieben. Selbst seinen Leichnam würde die Stadt nicht mehr aufnehmen.
    »Nun?« fragte Theseus lauernd. »Was hältst du davon?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Daidalos und warf einen Blick auf Ariadne, die das Fenster geöffnet hatte und hinaus in die Nacht starrte. Er machte eine unbestimmte Geste in ihre Richtung. Vielleicht gab es doch eine Möglichkeit. Nicht zu vergessen. Aber zu verzeihen. »Wir müssen allein darüber reden«, flüsterte er. »Unter Athenern. Es gäbe einiges dazu zu sagen.«
    Theseus nickte. Das war genau der Punkt, an dem er ihn haben wollte. »Eines sollten wir zuallererst klarstellen«, sagte er langsam. »Wenn sein Sohn nach Hause kommt, wird Aigeus bereit sein, vieles zu vergessen. Darauf gebe ich dir mein Wort.«
     
    Sie redeten, bis die ersten Vögel vor dem Fenster zu hören waren. Beide spürten, wie müde sie waren. Sie sahen sich an.
    »So könnte es gehen«, sagte der Jüngere.
    »Ja, wenn nichts dazwischenkommt«, erwiderte der Ältere. »Ihr müßt schleunigst in eure Zimmer. Es beginnt schon zu dämmern.«
    Ariadne war irgendwann eingeschlafen. Sie lag auf dem Bett, die Beine hochgezogen, eine Wange gegen die zusammengefaltete Decke gedrückt. Sie atmete schwer und unregelmäßig. Das Kleid war verrutscht, eine kräftige Wade zu sehen. Theseus dachte sehnsüchtig an Phaidras schlanke weiße Fesseln und wandte sich ab.
    Nicht rasch genug. Daidalos war sein Ausdruck nicht entgangen. »Und sie?« fragte er. »Was wird aus ihr?«
    »Was soll aus ihr schon werden«, gab Theseus grob zur Antwort. »Sie wird das machen, was ich sage. Man merkt, daß du sehr lange von zu Hause fort bist. Aber das wird sich ja bald ändern.«
    Er ging zum Bett hinüber und beugte sich über Ariadne. »Aufstehen«, sagte er. »Es wird hell. Wir müssen los.«
    »Das Schiff«, murmelte sie. »Es legt ohne mich ab. Ich kann es sehen. Ich muß schwimmen …« Sie sprach undeutlich, beinahe wie eine Betrunkene.
    »Ariadne!« Er rüttelte sie. »Wach auf! Ich bin es, Theseus. Daidalos ist bereit, uns zu helfen. Wir werden Kreta verlassen. Schon sehr bald.«
    Sie sah ihm starr ins Gesicht. »Deine Augen«, flüsterte sie. Das war es, wovor Asterios sie gewarnt hatte!
    Ihr warmer Atem schlug ihm entgegen. Sie roch nach Schlaf und Frau, süß und lau und schwerer, als er es jetzt ertragen konnte.
    »Was ist mit meinen Augen?«
    Sie drückte ihre Hände fest auf ihren Bauch. Wie eine undurchdringliche Barriere. Es gab kein Zurück. Sie war zu weit gegangen. Aber sagen mußte sie es, und wenn es nur dieses einzige Mal war.
    »In deinen Augen steht der Tod. Ich habe ihn gesehen.«

Tage des Zorns
    Nach den Trauerfeierlichkeiten stieg Asterios abermals ins Labyrinth und nahm das Bild der stoppeligen Felder mit, den Geruch nach Trester und jungem Wein, das goldene Licht der ersten Oktobertage. Zum Glück war es unten nicht stickig. Röhren und Schächte, Gräben und Stollen sorgten für Luftaustausch. Dennoch waren manche Wände feucht, und der Gegensatz zwischen oben und unten hätte größer nicht sein können. Er versuchte, das Unbehagen in seinem Inneren zu übergehen. Äußerlich gab es keinerlei Anzeichen für Gefahr.
    Nach dem Unwetter hatte ein ruhiger Herbst Einzug gehalten. Die gröbsten Sturmschäden waren beseitigt, die Toten beweint, und auf Kreta war der Alltag wieder eingekehrt. Minos hatte versprochen, daß jeder vor Winteranfang ein sicheres Dach über dem Kopf haben würde. Deshalb waren sogar Bootsbauer und Zimmermänner zum Instandsetzen der Häuser abgestellt. Noch immer lagen die Schiffe im Hafenbecken von Amnyssos; dieses Jahr würden sie

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