Palast der blauen Delphine
dem Rock! Ich will einen Mann töten – kein wimmerndes Weib!«
War da nicht ein dumpfes Brüllen hinter ihm gewesen? Er fuhr herum. Gab es womöglich noch einen zweiten, der sich im Bauch der Erde verbarg, um ihn hinterrücks anzugreifen?
»Was ist?« schrie er. »Bist du vielleicht zu Stein geworden?«
Er begann zu tänzeln, um die eigene Erstarrung loszuwerden. Die Stunden in der Unterwelt hatten ihn steif werden lassen. Er spürte, wie seine Muskeln und Sehnen erst allmählich wieder erwachten. Der andere glotzte ihn bewegungslos an. Theseus fragte sich, wie sehr die schwere Maske sein Sichtfeld einschränkte.
Er probierte einen schnellen Ausfallschritt, ließ die Rechte mit dem Stichmesser nach vorn schnellen. Er genoß das vertraute Gefühl der Waffe in der Hand. Die scharfe Klinge verfehlte knapp den Arm, fuhr durch den Rock und riß den Stoff bis zur Hüfte auf. Ein dunkles Mal wurde sichtbar, geformt wie das Doppelhorn, zu dem sie beteten.
Einen winzigen Moment wurde er unsicher. Die Hüfte des Stiertänzers war hell gewesen, daran erinnerte er sich genau. Aber war das jetzt wichtig?
»Auch gut«, schnaubte Theseus um so wütender. »Wenn du nicht willst, dann ziehe ich dich eben aus!«
Asterios wich zurück. Das waren sie, die Augen, die er in seinen Bildern und Träumen gesehen hatte. In ihrer Glätte war er stets ertrunken, in ihrer Unbarmherzigkeit jedes Mal umgekommen. Kalt und hell wie Meeresgischt. Der Tod sprang ihm daraus entgegen.
Er mußte es trotzdem versuchen. Er war der Hüter des Heiligtums, der andere ein frecher Eindringling. »Verlasse augenblicklich das Labyrinth!« forderte er. Das Leder vor Mund und Nase ließ seine Stimme tiefer klingen.
»Nichts lieber als das!« schrie Theseus. »Ich gehe. Aber erst, wenn ich dich erledigt habe. Ich bin den langen Weg ins Dunkel gekrochen, um dich zu töten.«
Diesmal zielte er auf den Bauch. Asterios drehte sich rechtzeitig weg. Das Messer rammte den Felsen.
»Du Bastard!« schrie Theseus. »Warte, ich kriege dich! Dein Blut will ich sehen!«
»Zum letzten Mal: Mach, daß du hier rauskommst!« Seine Stimme hallte von den Felswänden verzerrt wider.
»Erst, wenn du am Boden liegst und um Gnade winselst«, keuchte Theseus. »Dann stoße ich dir meinen eisernen Freund ins Herz!«
Er war schneller geworden. Und gefährlicher. Asterios spürte, daß er nicht allzu lange mit diesem Tempo würde mithalten können. Warum sich nicht einfach dieser Erschöpfung hingeben? Die Zeit des Stiers geht zu Ende, dröhnte es in seinem Schädel. Der Stier muß sterben. Das Neue, das seinen Tod fordert, ist stärker.
Seine Bewegungen wurden unsicher, er fiel sogar nach vorn, war aber schnell wieder auf den Beinen. Niemals zuvor war ihm die Maske so schwer und lästig gewesen. Aber er durfte sie nicht abnehmen. Solange er sie trug, war er der Hüter des Labyrinths. Ohne sie nur ein Bastard, der mit einem anderen auf Leben und Tod kämpfte.
Die Angriffe kamen immer schneller. Zielten auf seinen Bauch, den Rücken, immer wieder auf die Arme. Theseus schien keine Müdigkeit zu verspüren, obwohl sein Körper dampfte, und der Schweiß ihm in Strömen hinunterlief.
Dann traf ihn die Klinge am Schenkel.
»Ja!« heulte der andere auf, als Blut den zerfetzten Rock dunkel färbte. »Ja! Durchlöchern will ich dich, daß der Lebenssaft aus dir heraussickert!« Er war wie von Sinnen. Sein Gesicht eine verzerrte Fratze, der Mund ein dünner Strich. Die Narbe glühte wie ein blutiges Mal. Vor seine Augen hatte sich ein dichter roter Schleier gesenkt, der alle Konturen verschwimmen ließ. Töten! schrie es in ihm. Töte ihn!
Es war nicht viel mehr als ein Kratzer, aber es tat unangenehm weh und begann zu pochen. Jetzt erst bekam Asterios wirklich Angst. Das war nur der Anfang. Bald schon würde sein Körper von tiefen Stichen übersät sein, und sein Blut den Steinboden besudeln.
Der nächste Stich traf sein Knie. Dann seine Wade. Seine Lende. Seinen Rücken. Wohin er sich auch wandte, er konnte ihm nicht entrinnen. Theseus lachte bei jedem Treffer.
»Ich reiße dir deinen Schädel ab!« schrie er. »Wenn du mir die Maske nicht freiwillig gibst, hole ich mir beides!«
Wieder attackierte er ihn heftig von der Seite.
Asterios hatte schon viel Blut verloren. Überall an seinem Körper stach und pochte es. Beim Ducken und Ausweichen war das Leder vor seinem Gesicht verrutscht. Er sah nur noch auf einem Auge. Mit einer Hand versuchte er, seinen Angreifer abzuwehren,
Weitere Kostenlose Bücher