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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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wäre. Die Stricke, die er an seinen Gürtel gebunden hatte. Den Knebel. Den wassergefüllten Lederbeutel. In seiner Bauchtasche, zu einem länglichen Knäuel aufgewickelt, steckte der endlose Faden, den Daidalos ihnen erst gestern nacht gegeben hatte. »Das neue Material aus dem Osten«, hatte er gemurmelt. Im Kerzenlicht hatte er glatt und schimmernd ausgesehen. »Ein Vermögen wert. Wenn es Wolle wäre, müßtest du ein Knäuel mitschleppen, so groß wie ein Wagenrad.«
    An seiner rechten Seite spürte er das lange Stichmesser, fast so gut wie ein Schwert, aus bestem attischen Eisen, eng an seinen Körper geschnürt, damit es nicht auftrug. Das war eines der Geheimnisse, von denen Ariadne nichts wußte. Sollte sie nur glauben, daß er mit dem lächerlichen Bronzedolch losziehen würde, den sie ihm in den Gürtel gesteckt hatte!
    »Es ist gleich soweit«, sagte sie leise.
    Theseus sandte ein letztes Stoßgebet zu Apollon. Würde sein Plan gelingen, war er bereit, Ihm mit dem schönsten Opfer aller Zeiten zu danken. Er grinste schief. Falls er mißlang, würden die Fische seinen Kadaver zu fressen bekommen.
    Die alte Frau im dunklen Gewand kam wieder heraus und ging rasch davon. Ariadne war schon am Eingang und hielt die Tür einen Fußbreit offen. Sie keuchte. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. »Schnell«, flüsterte sie. »Das Knäuel!«
    Er zog vorsichtig ein Stück Faden aus der Tasche. Ihre Hände zitterten. »Wir müssen uns beeilen«, murmelte sie. Den Fadenanfang schlang sie um das Schwanzende der rechten Schlange und knotete es doppelt fest. Sie zog daran, nickte. Selbst wenn die Tür zufiel, würde der Faden nicht reißen. »Sei vorsichtig«, ermahnte sie Theseus. »Worauf mußt du achten?«
    »Immer mit der rechten Hand an der Wand«, leierte er herunter. »Gleichgültig, was geschieht. Mit der linken spule ich den Faden ab.«
    »Locker!« unterbrach sie ihn.
    »Locker!« wiederholte er. »Gehen wir?«
    » Du gehst.«
    Ariadne gab ihm einen schnellen Kuß. »Gib auf dich acht!« flüsterte sie. Sie berührte ihren Bauch. »Du weißt, was für uns davon abhängt.«
    Durch den kleinen Spalt fiel gerade soviel Sonnenlicht, daß sich das Schwarz zu einem tiefen, staubigen Grau mischte. Aber das galt nur für die ersten Schritte. Ein kleines Stück weiter würde ihn vollkommene Nacht umfangen.
    Der Myste war noch nicht weit gekommen. Er stand im Stollen und kämpfte offensichtlich mit seiner Orientierung. Mit einem geschmeidigen Satz war Theseus hinter ihm. Der Junge drehte den Kopf mit der Augenbinde erschreckt nach hinten. Theseus stopfte ihm den Knebel in den Mund.
    Er gurgelte und wehrte sich, Theseus aber war stärker, riß ihm die Arme auf den Rücken und fesselte ihn. Jeder Widerstand erlahmte. »Setz dich!« zischte Theseus. »Auf den Boden mit dir!«
    Gehorsam rutschte er an der rauhen Wand nach unten. Theseus verschnürte sorgfältig seine Beine und Füße mit den Knoten, die ihm sein Großvater beigebracht hatte. Zur Sicherheit zog er noch einmal an den Stricken. Er gab ihm einen leichten Schlag auf den Kopf. Ersticktes Stöhnen. Vermutlich bangte der Junge um sein Leben.
    »Gute Reise und angenehme Träume. Du hast sicher nichts dagegen, daß ich mich an deiner Stelle auf den Weg zum Monstrum mache. Alles in Ordnung«, rief er munterer zu Ariadne hinauf, als ihm zumute war. »Das Abenteuer kann beginnen!«
    Sie rief etwas zurück, das er aber nicht verstehen konnte. Ein dumpfer Laut. Die Schlangenpforte war zu.
    Es war nicht die Dunkelheit, die seinen Puls zum Rasen brachte, sondern die Stille. Sein Atem ging kurz und heftig. Das ist das Ende, dachte Theseus verzweifelt, eine Falle, aus der ich nie wieder herauskomme. Der Ort, wo die Kreter ihre Feinde bei lebendigem Leib begraben. Sein Magen verkrampfte sich, bitterer Speichel sammelte sich in seinem Mund. Er spuckte aus, wütend und voller Angst.
    Er tastete seinen Körper ab, spürte das Knäuel, dann das Messer. Er versuchte, das Rauschen aus seinen Ohren zu verdrängen. Er war bereit, sich zu wehren! Er war nicht schutzlos. Er wußte, wohin der Weg führte. Irgendwo in der Tiefe der Erde wartete sein Gegner auf ihn.
    Er streckte die Hand aus. Rauhe Felswand. Vorsichtig machte er ein paar Schritte nach vorn. Eine Biegung! Erschrocken preßte er sich an die Wand und riß sich dabei den Handballen auf. Er fluchte, war für einen Moment nicht ganz aufmerksam. Irgend etwas ließ ihn stocken. »Der Faden!« Er meinte in der dröhnenden Stille

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