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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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später als sonst überholt werden.
    Alles schien friedlich. Und dennoch litt Asterios an quälender Ruhelosigkeit. Es kostete ihn große Mühe, sich auf die Erde einzustimmen. Er verschmolz nicht mit ihr, und sein Körper blieb hart und unbeweglich, als sei auch er zu einem kristallinen Gebilde geworden. Er betete, er fastete, er vollzog die Meditationsübungen, die Hatasu ihm beigebracht hatte. Zu seiner Freude war sie bald nach dem Unwetter nach Knossos gekommen, und obwohl sie sich nur selten sahen, genügte schon der Gedanke an sie, daß ein Gefühl von Geborgenheit in ihm aufstieg. Aber im dunklen Bauch der Erde war er allein – und einsam.
    Einmal war Phaidra ihm zufällig im Palast über den Weg gelaufen. »Hast du das blaue Licht schon gerufen?« wollte sie wissen.
    »Ja«. Seine Stimme klang belegt.
    »Und? Was hat es dir gezeigt?«
    Was sollte Asterios ihr erzählen? Er kannte die Bilder. Und er haßte sie. Sie zeigten ihm den blonden Athener, der ihn mit einer Waffe bedrohte und schließlich schwer verwundete. So häufig hatte er diese Szene erlebt, daß er sie manchmal nicht mehr von einem Albtraum unterscheiden konnte. Eingebrannt war sie in ihn, in sein Fleisch, in sein Herz.
    »Warum sagst du nichts? Ist es so schrecklich?« Phaidra berührte sanft seinen Arm.
    »Es ist nichts.« Er kämpfte gegen sein Verlangen an, ihr davon zu erzählen. Aber er wollte sie nicht beunruhigen. Die Sache betraf nur Theseus und ihn. »Laß uns darüber sprechen, wenn der nächste Einweihungszyklus abgeschlossen ist.«
    »Ich werde für dich beten«, sagte sie nachdenklich. »Gib mir gleich Bescheid, wenn du wieder im Palast bist.«
    Bis dahin waren es noch mindestens zwei Tage. Seine eigene Schwerfälligkeit schien sich auf die Mysten zu übertragen. Es dauerte länger, bis sie das Zentrum erreichten. Diese neue, unbekannte Form der Schwere veränderte auch die Qualität der Begegnung. Asterios kam es vor, als würden die Schatten immer dunkler und bedrohlicher. Eine unheimliche Kraft schien geweckt, von der etwas zurückblieb, wenn die Mysten ins Licht zurückgekehrt waren.
    Er reinigte das Labyrinth mit Salbei und Weihrauch. Er flehte zur Göttin, die Bedrohung von dem heiligen Ort zu nehmen. Trotzdem wuchs seine Beklemmung. Manchmal konnte er kaum noch atmen. Die Härchen auf seinen Armen stellten sich auf, und sein Körper begann zu zucken, als sei er wieder der ängstliche Myste von damals, der sich langsam in die Dunkelheit vortastete.
    Er war Asterios. Er hütete das Labyrinth. Für kurze Zeit half es, wenn er sich diese Worte wieder und wieder vorsagte. Die Wirkung hielt jedoch nicht lange an. Durfte er in diesem Zustand überhaupt bleiben? Was würde geschehen, wenn seine Energie sich auf negative Weise mit der der Mysten verbände?
    Allmählich wurde er ruhiger. Nur ein Myste noch, sagte er sich, wenn sein Geist wieder klarer war und sein Herz ruhiger schlug. So viele habe ich schon gesehen. Nur noch diesen einen. Dann hat das Licht mich wieder.
     
    Sie hielten sich versteckt, bis der Myste an die Schlangenpforte geführt wurde. Bei ihm war nicht Hemera, sondern eine weißhaarige Priesterin, die Ariadne nur vom Sehen kannte. Seitdem so viele junge Menschen zu den Mysterien strebten, tauchten ständig neue Gesichter auf. Noch nie zuvor hatte es so viele Mädchen gegeben, die zu Priesterinnen geweiht werden wollten. Aber die Weisen Frauen trafen eine strenge Auswahl.
    Der Myste war schmächtig und sah nicht aus, als würde er sich groß wehren können. Die Priesterin entriegelte die Türe und ließ ihn eintreten. Ariadne hatte herausgefunden, daß das Ritual geringfügig abgeändert worden war. Drinnen würde sie ihm die Binde umlegen, ihm das Blechon zu trinken geben und sich zurückziehen. Das war der Moment, den sie abpassen mußten. War der Myste erst einmal zu tief in die verschlungenen Gänge eingedrungen, gab es keine Möglichkeit mehr, ihn einzuholen.
    Theseus spürte, wie seine Hände feucht wurden. Alles in ihm sträubte sich, die Schwelle zu überschreiten. Aber es gab kein Zurück, jetzt nicht mehr. Prokritos war als einziger der Rebellen über ihr Vorhaben unterrichtet. Wenn der Plan durchgeführt war, würde er die anderen informieren. Sicher würde keiner der Athener sich weigern, es sei denn, er war bereit, sein Leben zu riskieren. Wenn Minos erst einmal entdeckt hatte, was geschehen war, würde er jeden töten lassen, den er zu fassen bekam.
    Er tastete nach den Dingen, ohne die er verloren

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