Palast der blauen Delphine
Flur entlang gekommen. »Mistel, Johanniskraut, Engelwurz, Honigklee …«
»Und das getrocknete Mutterkraut liefere ich nächste Woche, wie gewünscht, verehrte Hatasu«, rief Iassos eifrig. »Garantiert!«
»Gut«, lächelte sie und sah dabei Asterios ganz offen an. »Du hast einen Gast, Iassos?«
Sie war kein Mädchen mehr. Jetzt erst entdeckte er die feinen Linien um Augen und Mund, die ihr Alter verrieten. Ihr Haar war schwarz mit dem bläulichen Schimmer von Rabenflügeln und fiel glatt auf ein schimmerndes grünliches Gewand. An einer Kette trug sie einen goldenen Löwinnenkopf. Der helle Bronzeton ihrer Haut wurde durch die dunklen, schwarz umrandeten Mandelaugen und die vollen roten Lippen unterstrichen. Ihrer würdevollen Haltung nach hätte sie eine Königin sein können. Sie kam ihm so schön und so fremdartig vor wie ihr klingender Name.
»Ein junger Mann vom Land, der Hilfe und Beistand braucht«, sagte er ausweichend.
Iassos brachte sie höflich an die Tür, wo er sich mit vielen tiefen Verneigungen verabschiedete. Dann wandte er sich zu Asterios. »Komm, junger Freund, jetzt zeige ich dir, wo du schlafen wirst.«
»Wer war die schöne Fremde?« fragte Asterios neugierig, während er hinter ihm die steile Holztreppe in das Obergeschoß hinaufstieg. Von einer umlaufenden Balustrade blickte man in den Innenhof, wo ein steinerner Küchenofen stand. Mehrere Türen führten in die Schlafgemächer.
»Eine Dame, die aus Ägypten stammt und am Hof lebt«, lautete die knappe Antwort. »Eine meiner liebsten Kundinnen. Sie ist sehr klug, und außerdem versteht niemand von Heilkunst soviel wie Hatasu.«
Asterios hätte gern noch weiter gefragt, aber Iassos öffnete schwungvoll die erste Tür zu einem Zimmer, das von einem Dutzend Kerzen erleuchtet wurde. Unter dem Fenster stand eine Bettstatt, über die eine rote Decke gebreitet war. Zwei Holztruhen und ein kleiner Eichentisch mit Bronzefüßen, den grazilen Beinen eines Kranichs nachempfunden, vervollständigten das Mobiliar. Farbiger Stuck leuchtete an den Wänden, ein sandfarbenes Wellenmuster auf blauem Grund, das wie eine Borte wirkte.
»Das ist ja der Palast eines Königs! Du mußt ein reicher und bedeutender Mann sein!«
Bescheiden hüstelnd wehrte Iassos ab. »Wenn du dich wohl bei mir fühlst, bin ich mehr als zufrieden. Nimm dein Bad, und dann essen wir.«
Kurz darauf klopfte eine ältere Dienerin und bedeutete ihm, ihr nach unten zu folgen. Im Erdgeschoß wies sie ihn schweigend in einen Raum neben der Treppe, der fast vollständig von einem hölzernen Zuber ausgefüllt wurde. Sie zeigte auf einen Stapel bunter Tücher und machte die Geste des Abtrocknens. Dann verließ sie ihn.
Nur zu gern schlüpfte Asterios aus seiner schmutzigen Kleidung, beugte sich über den Trog und atmete den Duft ein, der ihn an den Geruch einer Frühlingswiese erinnerte. Er ließ sich in das angenehm temperierte Wasser gleiten und streckte wohlig seine Glieder. Die Wärme vertrieb die Anspannung aus seinem Körper, und Müdigkeit überfiel ihn. Als Iassos ihn mit lauter Stimme zum Essen rief, stieg er leicht benommen aus dem Bottich und rieb sich mit einem der großen Tücher trocken. Erstaunt spürte er die Weichheit des Stoffes auf seiner Haut. Danach zog er einen Wollschurz und ein frisches Leinenhemd an.
Seine Augen glänzten, als er den reich gedeckten Tisch sah. Er ließ sich von allem servieren und aß mit großem Appetit. Als die Dienerin den Raum verlassen hatte, wollte er von Iassos wissen, warum kein Wort über ihre Lippen kam.
»Hamys ist stumm. Dienerinnen wie sie ersparen ihrer Herrschaft eine Menge Schwierigkeiten, kann ich dir verraten! Aber greif doch zu!« rief er, als sie wieder mit gefüllten Schüsseln eintrat. »Laß es dir schmecken!«
Asterios nahm eine weitere Portion von dem gesottenen Tintenfisch und dem Gemüse aus dicken, weißen Bohnen. Mit frischem Brot tunkte er die Fischstückchen und die sämige Sauce auf. Die runden Laiber, warm und kroß aus dem Steinofen serviert, hatten nur wenig Ähnlichkeit mit den steinharten Fladen, die er sonst kaute. Zum Nachtisch gab es kandierten Ingwer und süße Sesamküchlein. Dazu trank er Wasser und einige Becher von dem Wein, den Iassos großzügig nachschenkte.
Iassos ließ die Dienerin schließlich abtragen. »Hast du Lust, einen Blick in mein kleines Reich zu werfen?« Das Lächeln des Parfumhändlers wurde breiter und ließ große, unregelmäßige Zähne sehen. »Meine Essenzensammlung
Weitere Kostenlose Bücher