Palast der blauen Delphine
sucht in ganz Kreta ihresgleichen. Nicht nur heilkundige Damen beanspruchen meine Hilfe. Die Königin hat mich zu ihrem persönlichen Parfumlieferanten ernannt!«
»Du kennst die Königin?« fragte Asterios. »Du kennst sie – gut?«
»Das will ich meinen! Seit vielen, vielen Jahren beliefere ich sie mit meinen Salben und Duftstoffen, meinen Ölen, Essenzen und eben jenem kostbaren Balsam, von dem du heute ein Töpfchen zerschlagen hast.«
»Und wie … wie ist sie?«
Aufmerksam musterte Iassos den Jungen aus kleinen, schlauen Augen und ließ sich mit seiner Antwort Zeit. »Was meinst du damit?« fragte er schließlich gedehnt. »Was willst du wissen?«
»Nun, ich … möchte«, stotterte Asterios. »Ist es wahr, was man sich über sie erzählt? Ist sie klug und schön?«
»Ja, bei der Göttin, das ist sie!« erwiderte Iassos verklärt. »Und könnte noch schöner sein, wenn sie glücklicher wäre. Gegen durchweinte Tage und durchwachte Nächte können auch die besten Öle und Salben auf Dauer nichts ausrichten!«
»Ist sie denn allein?« fragte Asterios weiter. »Ich meine, ist sie manchmal allein zu sprechen?«
Wieder traf ihn ein merkwürdig lauernder Blick des Händlers, der sich unwillkürlich vorgebeugt hatte, als wollten seine fleischigen Ohren sich keines von Asterios Worten entgehen lassen.
»Bei den Opferungen und Zeremonien sind immer Priesterinnen an ihrer Seite. In ihren Palästen ist sie von Hofleuten umgeben, nur manchmal ist sie allein.« Er strich sich mit leicht affektierter Geste über sein schütteres, rotblondes Haar. »Dabei liebt Pasiphaë die Einsamkeit und fühlt sich unwohl in lauter Gesellschaft. Niemand als ich kann besser verstehen, wie ihr zumute ist.«
Asterios schwieg beklommen. Große Mutter – wie sollte er es anstellen, sie allein zu sprechen?
»Was willst du von der Königin?« drang schnarrend Iassos Stimme in seine Gedanken. »Sollst du ihr etwas bestellen?«
»Nein, nein«, stieß Asterios hervor und vermied dabei, seinen Gastgeber anzusehen. »Ich bin nur zur Zählung da. Nichts weiter.«
»Ganz wie du meinst«, erwiderte Iassos enttäuscht. Mit lautem Ächzen erhob er sich aus seinem Sessel, dessen Lehnen in zwei geschnitzten Schlangenköpfen ausliefen. »Sollte es jedoch einmal anders kommen, dann vergiß nicht, daß ich mich am Hof auskenne und dir vielleicht helfen kann. Aber genug der Worte! Ich zeige dir meine Werkstatt, und dann wirst du dich zur Ruhe begeben!«
Er führte Asterios den Gang entlang in einen länglichen Raum und entzündete mit einem Span die Öllampen an den Wänden. Auf Truhen und Regalen, auf Tischen und Hockern standen Hunderte verschiedener Fläschchen und Töpfe: teils versiegelte, teils unverschlossene Alabastren, bauchige Amphoren, flache Askoi mit bügelförmigen Henkeln, langstielige Schöpfgefäße aus Ton und Bronze und steinerne Pyxiden für Schminke und Salben. Getrocknete Blumen und Kräuter hingen, säuberlich gebündelt, von der Decke.
»Hast du das alles gesammelt?«
»Natürlich nicht«, sagte Iassos mit hörbarem Stolz. »Drei erfahrene Salbensieder arbeiten für mich, und eine Handvoll junger Gehilfen bringt mir die notwendigen Pflanzen und Kräuter. Selbstverständlich nicht nur auf Kreta!« Er machte eine kurze, wirkungsvolle Pause. »Ich treibe Handel mit den Völkern des Nordens, mit Syrien, Ägypten, ja selbst mit Phönizien, um alle Grundstoffe für meine Öle und Essenzen zu bekommen. Schau hier!« Verzückt wies er auf drei unscheinbare Keramikbehälter, die mit hellen Schlangenlinien verziert waren. »Diese Chamaizi-Töpfchen gehören zu meinen Kostbarkeiten: Sie enthalten Öle, die verjüngen und heilen. Sie dienen zur Salbung der Lebenden und der Toten und können auch für heilige Idole angewendet werden.«
»Wäre das kein passender Ersatz für den Balsam der Königin?« fragte Asterios und lächelte ihn dabei harmlos an.
»Wie kannst du das nur annehmen!« Iassos fuchtelte erregt vor ihm hin und her. »Das eine läßt sich nicht einfach gegen das andere austauschen! Jedes dieser Mittel hat gänzlich verschiedene Wirkungen. Zum Beispiel hier: Henna, Narde, Myrrhe, Behennuß und Zinnamon, das Kräftigungsmittel, das blutstillend wirkt, aus Syrien und Ägypten; Flachs und Leinöl aus dem wilden Norden. Nichts hilft besser gegen Seitenschmerzen als eine Auflage aus Leinsamen, Pfirsichbaumharz und Mistelsaft! Iris, Safran, Lilien, Riedgras und Salbei stammen dagegen aus hiesigem Anbau – das Gurgel- und
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