Palast der blauen Delphine
forderte Peripos ungehalten. »Drei Tiere sind deine Steuer für das vergangene Jahr. Ich schlage vor, die beiden gefleckten Milchziegen dort drüben und den hellen Jungbock. Nein, der ist doch ein bißchen zu mager! Lieber den schwarzen Bock hier am Gatter.«
»Nein, Peripos, so nicht!« fuhr Jesa ihn an. »Du hast hier nichts zu entscheiden. Die Auswahl der Tiere nimmt allein die Oberschreiberin im Auftrag der Königin vor. So war es seit jeher, und so wird es auch künftig sein. Der Stallmeister kann raten. Wenn er um Rat gefragt wird.« Sie trat dicht vor den Mann, der zurückwich, als könne er ihre Nähe nicht ertragen. »Ist das klar?«
Peripos nickte. Zorn ließ die Adern an seiner Stirn anschwellen. Mit einem Ausdruck mühsam gebändigter Wut blickte er auf ihre kleine, kräftige Gestalt hinab.
»So stumm?« stichelte sie mit provozierender Heiterkeit und trat noch näher, während er zur Seite sah. »Und doch einverstanden? Wieso müßt ihr Männer euch immer wieder vordrängen?« Sie wandte sich erneut an Asterios. »Laß uns mit der Arbeit fortfahren! Lange schon hat uns die Große Mutter nicht mehr so viele gesunde Tiere geschenkt. Deshalb ist es in diesem Jahr nicht nötig, den gesetzlichen Zehnten ganz auszuschöpfen. Also zwei, nicht drei Tiere für die Herde der Königin. Uns treibt nicht Habsucht«, sagte sie nachdrücklich und fixierte Peripos. »Wir fordern für die königliche Herde nur, was auch gebraucht wird. Deshalb entscheiden wir uns für die Geiß mit der Blesse und das schwarze Böcklein am Gatter, das unser erfahrener Stallmeister uns bereits ans Herz gelegt hat.« Peripos schnaubte. Sie deutete eine Verneigung in seine Richtung an. »Was täten wir nur ohne dich?«
Ein spöttisches Lächeln kräuselte die Mundwinkel ihrer blonden Begleiterin, die mit dem Griffel die Steuerabgabe in ein Tontäfelchen ritzte. Auch die jungen Schreibgehilfinnen versuchten ihr Lachen zu unterdrücken.
Asterios beobachtete, wie Peripos nach Luft rang. Sie machen einen Fehler, dachte er. Sie provozieren ihn, damit er die Beherrschung verliert. Sie sind doch so stark. Warum müssen sie ihn öffentlich demütigen?
»Ich gehe mit Baupios«, sagte er in die angespannte Stille hinein, um sie den Triumph nicht länger auskosten zu lassen. Furchtlos sah er Jesa in die Augen. »Er hat angeboten, mich bei der Prozession zu führen. Ist es nicht bald soweit?«
Mit einem Schlag veränderte sich Jesas Miene. »Dann sei auch bereit!« fauchte sie ihn an. »Und erfülle deine Aufgabe!«
Die Umstehenden waren erstarrt, und im Nachbargatter hielt Baupios den Atem an. Asterios fühlte, wie sein Puls schneller wurde. Er war offensichtlich zu weit gegangen.
»Du scheinst mutig zu sein«, fuhr Jesa mit dünnem Lächeln fort. »Das gefällt mir. Auch wenn du noch lernen mußt, wann es besser ist, die Zunge zu hüten. Zumindest möchte ich dir dringend dazu raten – Hirte.« Bei den letzten Worten war ihr Ton schneidend geworden. »Vergiß vor allem nie, wer du bist, und mit wem du sprichst.«
Damit ließ sie ihn stehen und ging weiter zum nächsten Pferch, wo die Hirten sie schon erwarteten. Ihre Begleiter hielten respektvollen Abstand. Als letzter folgte der Stallmeister dem kleinen Troß. Er schaute finster zu Boden.
Asterios atmete tief aus. Er war erleichtert, Jesas strengen Augen entronnen zu sein, aber er war sehr unzufrieden mit sich. Anstatt sich auf die Begegnung mit der Königin zu konzentrieren, hatte er sich in aller Öffentlichkeit in Dinge eingemischt, die ihn nichts angingen. Schlimmer noch: die ihn verraten konnten. Auf diese Weise würde es ihm kaum gelingen, ohne Aufsehen bis zu Pasiphaë vorzudringen.
»Das war knapp, mein Junge«, kommentierte Baupios. »Jesa bekleidet eines der wichtigsten Ämter am Hof. Sie darf als erste die Doppelaxt beim Blutopfer führen; in ihrer Hand liegt die Verwaltung aller Steuern und Vorräte. In Notzeiten regelt sie im Namen der Königin die Verteilung an die Bedürftigen. Ihr unterstehen die Schreibschulen, in denen die Mädchen ihre Ausbildung erhalten. Ich kenne sie schon seit Jahren, noch aus der Zeit, als ich für die Herde der Königin gesorgt habe. Aber das ist lange her.« Sein Gesicht wurde ernst. »Hüte dich davor, dir diese mächtige Frau zur Feindin zu machen!« warnte er. »Schließlich bist du nur ein Hirte, Astro, und sie ist eine der engsten Vertrauten der Königin.«
Asterios nickte. Dann öffnete er das Gatter, trieb die Tiere hinaus und reihte
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