Palast der blauen Delphine
wenn die Priesterinnen sich gegen jede Neuerung sträuben!«
»Um so wichtiger ist es, daß wir so viel Einfluß wie möglich auf die Ausbildung unserer Elite nehmen«, sagte Aiakos. »Unser Aufstand ist damals fehlgeschlagen. Unsere Pläne und Ideen aber sind aktueller denn je. Du und ich, wir wissen, was geschehen muß.«
»Die Zeiten haben sich geändert und werden sich weiterhin verändern«, pflichtete Minos ihm temperamentvoll bei.
»Genau deshalb brauchen wir diesen Jungen«, sagte Aiakos ernst. »Keiner kann uns so nützlich sein wie er.«
Minos sah ihn skeptisch an. »Komm mit nach unten, ich will dir etwas zeigen!« sagte er schließlich.
Sie verließen die Baustelle und gelangten, diesmal durch das säulengeschmückte Treppenhaus und über einen weiteren Innenhof, zum Verwaltungstrakt. Im untersten Geschoß lagen die Magazine. Minos schloß die Eichentür auf und ließ den Freund eintreten. Durch schmale Luken fiel Tageslicht in die Lager. An den Längswänden stand je eine Doppelreihe von mannshohen Pithoi, in den Zwischenräumen war Steinbehälter neben Steinbehälter untergebracht.
»Da hast du Kretas Reichtum«, sagte Minos sarkastisch. »Ganz wie die Priesterinnen es wünschen: Getreide, Öl, Wein und andere Nahrungsmittel, gesammelt und gelagert wie seit Jahrhunderten. Aber es reicht nicht mehr, zweimal im Jahr unsere Scheuern zu füllen und blindlings auf die Überlegenheit unserer Schiffe zu vertrauen! Das Meer ist unsicher geworden, und die Athener werden sich nicht mehr lange mit der Beherrschung des Landweges zufrieden geben. Wenn wir unsere Handelsbeziehungen nicht stabilisieren, sind unsere Macht und unser Wohlstand bald schon Vergangenheit.«
»Du hast recht, und ich weiß es.« Aiakos legte ihm unwillkürlich die Hand auf den Arm. »Wir wissen es, und ein paar andere auch. Nicht genug Stimmen freilich – noch nicht -, um erneut und diesmal erfolgreich gegen den Kanon weiblicher Tradition anzustürmen.« Seine Stimme wurde eindringlich. »Wir müssen handeln, Minos! Dieser Junge kann uns dabei helfen. Ich nehme Asterios unter meine Fittiche und bilde ihn aus – für unsere Sache. Für eine Zukunft, die den Männern gehören wird. Wenn er der Auserwählte ist, warum dann der der Frauen, nicht unserer?«
Minos blieb eine ganze Weile stumm. »Und wenn ich seinen Anblick nicht ertrage?« fragte er schließlich leise.
Aiakos wußte, wieviel von seiner Antwort abhing. »Ich bin sicher, du wirst dich so großzügig und weitblickend verhalten, wie wir es von dir gewohnt sind«, antwortete er. »Der Bauherr großer Anlagen, der Förderer von Bronzeguß und Bergbau, läßt sich durch Eifersucht und Intrigen nicht von seinem Ziel abbringen. Denk daran: Mit diesem Jungen hast du die Zukunft in der Hand!«
»Du klingst so überzeugt«, sagte Minos zweifelnd. Er hatte die Türe zu den Magazinen wieder verschlossen, und sie waren auf dem Weg zurück zum Westhof.
»Weil ich weiß, daß ich recht habe!«
Laute Stimmen, Räderknarren und ächzende Geräusche unterbrachen sie. Minos beugte sich über die Brüstung und sah nach unten. Sein Gesicht blieb ernst, aber seine Augen leuchteten, als er sich wieder Aiakos zuwandte. »Die große Zinnladung aus Phönizien! Länger als einen Monat hat Daidalos auf diesen Tag gewartet. Jetzt kann er endlich mit seinen Experimenten beginnen.«
»Ich wette, er ist schon unten und steht allen beim Ausladen im Weg«, spottete Aiakos. »Am liebsten würde er wahrscheinlich jeden Barren eigenhändig in seine Werkstatt schleppen!«
»Du magst ihn immer noch nicht«, stellte Minos fest. »Dabei ist er wichtig für uns. Vor allem, wenn zutrifft, was er behauptet: daß Kupfer sich mit Zinn zu widerstandsfähigerer Bronze legieren läßt als bisher mit Arsen oder Blei.«
»Nein, ich traue ihm nicht«, entgegnete Aiakos überraschend scharf. »Sein Sohn Ikaros ist ein echter Kreter. Daidalos aber ist auch nach all den Jahren Athener geblieben.«
»Wenn er sein Ziel erreicht, ist er für mich wertvoller als viele Kreter. Seine jetzigen Versuche sind nur ein Zwischenschritt. Vergiß unsere dürftigen Kupferminen in den Tallaia-Bergen! Du weißt, wonach mich eigentlich gelüstet?«
Aiakos nickte.
»Ja, du weißt es! Nach dem schwarzen Feuer, das vom Himmel kommt. Eisen zu schmelzen und zu schmieden – darin liegt Kretas Zukunft! Mit eisernen Schwertern können wir alle Feinde lächelnd empfangen.«
»Es darf keinen männlichen Priester geben!« Jesas Stimme klang
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