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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Hang zu Großzügigkeit und Redseligkeit, während der schmale, dunkle Tyro den Winter verkörpert hatte. Die Unzertrennlichen, so hatten sie schon während ihres gemeinsamen Einweihungsweges die anderen Mysten halb spöttisch, halb neidvoll genannt. Aber das war lange her, mehr als drei Jahrzehnte, und seither war viel geschehen.
    Minos’ Schicksal war schon damals vorgezeichnet gewesen. Er war gegen Ende seiner Mystenzeit zum zukünftigen Gemahl der Königin bestimmt worden, ein Umstand, der seine Phantasie stark beschäftigt hatte. An der Seite der mächtigen kretischen Königin, die das Volk als Göttin verehrte – was würde da für ihn zu tun bleiben?
    Alten Überlieferungen nach war er für die königlichen Herden zuständig; ihm oblag auch die Aufsicht der Bewässerung, die so wichtig für die Fruchtbarkeit Kretas war. Und dennoch: Über allem thronte die Königin, menschliches Abbild der himmlischen Herrin. Eine bedrückende Vorstellung für einen ehrgeizigen jungen Mann, der mehr, der alles wollte. Schon in jenen Tagen war massiver Widerstand in ihm gewachsen. Er würde sich nicht damit begnügen, eine Handpuppe der Frauen zu sein!
    Garamos, Aiakos, Tyro und er durchliefen den Einweihungsweg wißbegierig, aber mit immer kritischeren Augen. Je mehr sie von dem überlieferten Wissen der Frauen erfuhren, desto größer wurden ihre Zweifel. Mußten sie sich mit der ihnen zugewiesenen Rolle begnügen? Sich fügen in das, was ihnen von der Schar der Priesterinnen befohlen wurde?
    Widerspruchsgeist regte sich in ihnen. War das, was sie gelehrt wurden, ausreichend, um die Zukunft zu meistern? Gab es nicht Neues, Wichtigeres, das an seinen Platz treten mußte?
    Sie begannen zu diskutieren und von einer Zukunft zu träumen, in der Männer in religiösen und politischen Dingen mitbestimmen würden. Hatte die Göttin nicht zwei Geschlechter geschaffen, Frau und Mann? Ergab sich nicht schon allein daraus die logische Schlußfolgerung, daß beide zusammen herrschen und entscheiden sollen?
    In jenen warmen Nächten wurde der Keim für ihre spätere Revolte gelegt. Minos, der seine künftige Rolle sehr ernst nahm, war ihr Wortführer gewesen. Und die Freunde, die regen Anteil an seinem Schicksal nahmen, schürten sein Aufbegehren weiter.
    Während er auf Aiakos wartete, um mit ihm den Fortgang der Bauarbeiten im Nordflügel zu begutachten, glitten seine Gedanken immer wieder in die Vergangenheit, zu den Freunden, die er so schmerzlich vermißte. Wie lange waren sie nicht mehr zusammen getaucht? Nicht mehr, seitdem damals ihre Rebellion gegen die Herrschaft der Frauen gescheitert war! Der mißlungene Aufstand hatte ihr Band zerrissen. Garamos war nicht bereit gewesen, sich von Pasiphaë und ihren erzürnten Ratgeberinnen in irgendein Exil verbannen zu lassen. Er hatte Gift genommen, was Minos und Aiakos schwer getroffen hatte.
    Tyros Trauer aber kannte keine Grenzen. Tagelang schloß er sich ein, bevor er schließlich von einem Tag auf den anderen seine Dienerschaft entließ und seine erlesen eingerichtete Villa am Stadtrand von Knossos aufgab. Seitdem lebte er als schweigender Eremit am Fuß des Nidagebirges in einer merkwürdigen Unterkunft, halb Hütte, halb Höhle. Seit Tagen schon ging er Minos nicht mehr aus dem Sinn, und der Gedanke an sein hageres Gesicht hatte ihn den ganzen Morgen über begleitet.
    Und Aiakos? Der Freund war damals in das Land am Nil übersiedelt, wo seine ägyptische Frau und seine Tochter lebten. Erst nach dem Tod Neiths waren Hatasu und er nach Kreta zurückgekehrt. Pasiphaë hatte ihn argwöhnisch beobachtet und tat es noch. Deshalb wunderte sich Minos bis heute, warum sie schließlich doch bereit gewesen war, Aiakos wie früher als Lehrer für die Stierspringer einzusetzen. Wahrscheinlich, weil sie keinen Besseren für diese wichtige Aufgabe hatte finden können. Seine Teilnahme am Aufstand aber hatte sie dem besten Freund ihres Mannes niemals vergeben, und seine unverbrüchliche Treue zu Minos mußte sie wohl oder übel in Kauf nehmen. Sie schien sich sicher zu sein, daß die Freunde allein keinen Aufruhr mehr anzetteln würden.
    Niemals würde Minos jene Große Zählung vergessen! Eigentlich hätten die Verschwörer zumindest ein weiteres Jahr für ihre Vorbereitungen gebraucht. Nach der schwülen Augustnacht aber, in der Pasiphaë sich vor Hunderten mit dem Stiertänzer vereinigt hatte, entschied sich Minos zum Handeln.
    Noch heute sah er die hemmungslosen Bewegungen deutlich vor sich,

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