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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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schon gegangen war, fühlte sie seinen fragenden Blick. Wieso brachte sie dieser junge Mann so durcheinander?
    Pasiphaë und Mirtho waren über seine regelmäßigen Besuche bei ihr informiert, und sie hatte sich mit ihrem Vater abgesprochen, der sich seinerseits bei Minos rückversichert hatte. Hatasu, die als einzige Aiakos bestgehütetes Geheimnis kannte, wußte, wie viel ihm an ihrem intensiven Kontakt zu Asterios lag. Gerade deshalb war sie glücklich, daß offiziell niemand ein Wort darüber verlor.
     
    Aiakos, erfreut, daß sein Schützling nach Wochen der Untätigkeit nun wieder ansprechbar und interessiert war, hatte seine Tochter gebeten, ihm mitzuteilen, wann Asterios wieder mit dem Training beginnen konnte. Er drängte nicht, aber er wartete voll innerer Ungeduld.
    Insgeheim bangte Hatasu vor dem Tag. Asterios beschäftigte sie mehr, als er ahnen konnte und ihr selbst lieb war, und ließ Wünsche in ihr wach werden, die sie sich sonst verbot. Gerade deshalb hatte sie ihm von ihrem bisherigen Leben nur wenig erzählt. Sie wollte auf keinen Fall, daß er erfuhr, wie einsam sie war. Deshalb blieb sie vor Asterios auf der Hut, versuchte, sich kühl und überlegen zu geben, und unternahm kaum Versuche, das Lehrerin-Schüler-Verhältnis zu verändern. Doch von Woche zu Woche fiel ihr der distanzierte Umgang schwerer, und sie mußte sich eingestehen, wie sehr sie seine Nähe genoß. Sie liebte seine Spontaneität, seinen Wissensdrang und seine Unmittelbarkeit, und die Freude, mit der er zu ihr kam, machte sie glücklich. Erinnerungen an früher stiegen in ihr hoch.
    Ihre Kindheit in Syene, dem Grenzort zwischen Ägypten und Nubien, wo in den Steinbrüchen dunkler Syenit und Rosengranit gewonnen und nilabwärts verschifft wurden, war heiter und zufrieden gewesen. Damals war sie noch Susai gewesen: ein kleines, dunkles Mädchen mit schwarzen Mandelaugen, das den ganzen Tag geplappert und gelacht hatte. Geliebt und behütet war sie aufgewachsen. Tage hatte sie erlebt, an denen der Himmel weiß vor Hitze gewesen war; staunend an ihrem Fenster das nächtliche Firmament betrachtet, das die Himmelsgöttin Nut mit ihrem schimmernden Leib umspannt hatte.
    Ihre Mutter, die von den Ufern des Weißen Nils stammte, war eine Isispriesterin, die in der Tempelstadt Buto im Nildelta medizinische Studien betrieben hatte, bevor sie Aiakos’ Frau geworden war. Gemäß der Tradition hatte die Heilkundige ihr gesamtes Wissen an die Tochter weitergegeben. Sie lehrte sie die Kunst der Hieroglyphen und führte sie nach und nach in die Vorschriften ihrer Religion ein. Neith sorgte dafür, daß Hatasu die Isisweihe empfing und begleitete sie selbst zum Tempel in Dendera, wo nach wochenlangen Vorbereitungen das Ritual vollzogen wurde.
    Schon in jungen Jahren hatte sie ihr gezeigt, wo die heilkräftigen Kräuter und Pflanzen gegen verschiedenartigste Leiden wachsen, und wie man sie zu Salben und Medizin verarbeitet. Neith zeigte Hatasu, wie man Wunden säuberte und verband und leitete sie später bei einfacheren Operationen an.
    An ihrem Haus zogen die Karawanen aus dem Sudan vorbei. Die Nubier handelten auf dem nahegelegenen Markt mit Berbern und Nomaden. Sie tauschten Gewürze, Gold und Edelhölzer gegen Henna, Mehl und Pfeffer, Elefantenzähne gegen scharf geschliffene Berberdolche. Seit ihren ersten Lebensjahren war Hatasu an den Anblick schlafender Bettler auf den steinernen Stufen gewohnt. Sie wunderte sich nicht, wenn im Arbeitszimmer ihres Vaters plötzlich Fremde einquartiert waren.
    Neith hatte keinen fortgeschickt, der an ihre Tür klopfte. Auch dann nicht, als das schwarze Fleckfieber in der Stadt gewütet und ihr Garten voll von Kranken war, zu schwach, um nach Hause zu gehen. Schließlich selbst von der Seuche befallen, hatte sie bis zum Schluß gegen die Krankheit gekämpft und sich erst zum Sterben hingelegt, als sie sicher sein konnte, daß Aiakos ihre Tochter unversehrt nach Edfu gebracht hatte, wo die Familie ein Sommerhaus besaß.
    Ihr Tod hatte alles verändert. Ohne die vielen Hilfesuchenden wirkte das Haus still und traurig. Aiakos floh vor der Leere und unternahm zahlreiche Reisen; die Tochter ließ er, kaum beaufsichtigt von häufig wechselndem Personal, in Syene zurück.
    Hatasu mußte lernen, mit ihrem Schmerz und ihrer Einsamkeit zu leben. Es verging kein Tag, an dem sie sich nicht nach freundlicher Gesellschaft gesehnt hätte. Deshalb war sie zunächst froh, als Minos den Vater zur Rückkehr nach Kreta

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