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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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ihnen beeinflussen zu lassen.«
    »Schmerz macht mir nichts aus«, sagte er gekränkt.
    Sie unterdrückte ein Lächeln. »Gesundheit oder Krankheit sind nur äußerliche Manifestationen unseres Willens. Die Macht deiner Gedanken kann dich sowohl krank als auch gesund machen. Vorausgesetzt, du willst wirklich gesund sein.«
    Asterios errötete. »Du hast gehört, was dein Vater gesagt hat. Ich muß schon bald zum zweiten Mal über den Stier springen«, sagte er. »Diesmal allerdings gehe ich nicht so leichten Herzens.«
    Sie ließ seinen Arm sinken, kniete sich vor ihn auf den Boden und sagte eindringlich: »Für uns Ägypter stellt der Stier ein heiliges Symbol der Erde dar. Sie ist keine Ansammlung von Staub, sondern ein komplizierter, lebendiger Mechanismus, auf dem alles sich gegenseitig bedingt. Du brauchst keine Angst zu haben, Asterios! Denn die Erde ist dein ureigenes Element; meines ist das Feuer. Doch das kommt erst viel später an die Reihe.« Jetzt lächelte sie. »Denk vor dem Sprung an das, was ich dir in den letzten Wochen beigebracht habe – wer wäre besser geeignet als du, den Stier zu bezwingen?«
     
    Der Tag seines zweiten Versuchs war angebrochen. Diesmal füllte keine buntgekleidete Menschenmenge den Theaterhof, und es gab beim Einzug der Akrobaten weder Fahnen noch Musik. Nur Jesa, Ikaros und Aiakos standen auf den hellen Steinstufen. Hatasu hatte sich nicht zum Kommen überreden lassen.
    »Ich bin ohnehin immer bei dir, weißt du das nicht?« hatte sie gesagt und ihn dabei aus unergründlichen Augen angesehen.
    Wie beim letzten Mal war der heilige Schrein geöffnet, und Asterios sah das Schimmern der Doppelaxt, vor der Pasiphaë sich verneigte, bevor sie ihn salbte und mit Wasser besprengte. Herbstliche Morgenkühle streifte seine bloße Haut, aber er atmete ruhig und gelassen. Die Sonne stäubte Gold über die bewegten Baumwipfel, und drunten in der Ebene waren die Felder längst zu Stoppeln verbrannt.
    Als ihm der schwarze Bulle mit gesenktem Schädel entgegenstürmte, kostete es Asterios einen langen Augenblick der Überwindung, bevor er loslief. Dann aber dachte er an Hatasus Unterweisungen und verschloß seine Sinne nach außen.
    Er rannte kraftvoll auf den Stier zu, leicht schräg, wie Aiakos es ihnen eingeschärft hatte, und fand den richtigen Absprung. Der Bulle warf seinen Kopf hoch. Da hatte Asterios schon sicher nach den Hörnern gegriffen. Obwohl der Schmerz der Anstrengung heiß durch seinen linken Arm schoß, gelang ihm ein hoher, beinahe perfekter Salto über den Tierrücken. Mit beiden Händen berührte er federnd die breiten Flanken.
    Seine Augen taxierten den Ort des Niedersprungs, seine Füße in Schrittstellung erwarteten bereits den Aufprall auf dem sandbedeckten Boden. Dann kam er hinter dem Bullen heil und aufrecht wieder zum Stehen.
     
    Am selben Nachmittag war die Arbeit an dem großen Wandbild in der Festhalle nahezu beendet. Während die eine Seite eine Felslandschaft zeigte, zwischen der sich Blumenbüschel, Sträucher und Gräser wie vom Wind bewegt neigten, war auf der gegenüberliegenden der Sprung über den Stier dargestellt.
    Laeto, die letzte Korrekturen vorgenommen hatte, trat ein paar Schritte zurück, um die Komposition zum wiederholten Mal auf sich wirken zu lassen. Direkt auf die Wände war zunächst eine feine Stuckschicht aufgetragen worden. Wenn sie die Augen zusammenkniff, konnte sie noch immer die Umrisse erkennen, die sie mit einer scharfen Obsidianklinge zur ersten Orientierung eingeritzt hatte. Anschließend hatte sie die Farben gemischt und mit der Malerei auf dem noch feuchten Untergrund begonnen.
    Sie nickte zufrieden. Die Farben hatten sich mit dem Putz verbunden und exakt die Leuchtkraft erhalten, die sie sich vorgestellt hatte. Dank dieser Methode würden sich auch noch die Enkel Pasiphaës, ja selbst ihre Urenkel an dieser lebendigen Szene erfreuen können. Durch rötliche Vertikalbänder hatte sie den Fries in mehrere Szenen aufgeteilt und den Untergrund in kräftigem Braunrot gestaltet. Die Mitte zeigte einen braun- und fahlweiß gescheckten Stier im fliegenden Galopp, dessen Rumpf übermächtig gedehnt erschien, fast, als wolle er den Bildrahmen sprengen. Um die Illusion von Schnelligkeit und Schwerelosigkeit zu erzeugen, waren seine vier Beine gleichzeitig in der Luft ausgestreckt. Erstmals hatte sie sich entschlossen, den Vorgang des Springens in drei Phasen darzustellen: im Aufschwung auf die Hörner des Tieres, in der Volte und im

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