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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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drängte. Immer wieder bat sie ihn, von seiner Heimat zu erzählen, und malte sich das Leben an den Höfen von Knossos und Phaistos in bunten, prächtigen Farben aus. Um so größer war ihre Enttäuschung, als sie auf der Insel ankam.
    Die Kreter kamen ihr bäurisch und ungeschliffen vor, und viele ihrer Sitten und Gebräuche fand sie abstoßend. Sie mokierte sich über ihre Engstirnigkeit und konnte nicht verstehen, wieso eine derart barbarische Veranstaltung wie das Stierspringen als heilige Kulthandlung galt. Am meisten aber litt sie unter der Künstlichkeit bei Hof, wo sie sich eingeschränkt fühlte und kaum Anschluß zu Gleichaltrigen fand.
    Mirtho und die Priesterinnen beäugten sie mißtrauisch, weil sie andere Vorstellungen vom Heilwesen hatte. Aiakos, schon bald mit der Ausbildung der Mysten beauftragt, verbrachte viele Monate des Jahres in Knossos oder Mallia und hatte wieder keine Zeit, sich um sie zu kümmern.
    Hatasu wurde immer einsamer und unglücklicher. Die Situation spitzte sich zu, als Minos seine Leidenschaft für sie entdeckte und Pasiphaë vor Eifersucht raste. In diesen Monaten begann sie, sich noch mehr zurückzuziehen und überall Feinde zu vermuten.
    Selbst als Minos Verliebtheit abgeklungen war und die Königin sicher sein konnte, daß von dem fremden Mädchen keine Gefahr drohte, verbesserte sich ihre Beziehung zum Hof kaum. Zu deutlich hatte Hatasu zum Ausdruck gebracht, was sie von dem im Vergleich zu Ägypten provinziell anmutenden Prunk hielt, zu entschlossen war sie ihren eigenen Weg gegangen. Nur dem Umstand, daß sie Aiakos Tochter war und damit Achtung genoß, war es zu verdanken, daß sie weiterhin noch eingeladen wurde. Sie hatte sich über die Jahre zu einer Außenseiterin entwickelt – bis zu dem Tag, als sie sich über den verwundeten Asterios gebeugt hatte.
    Aiakos blieb ihre Schwäche für Pasiphaës Sohn nicht verborgen, die weit über das hinausging, was Lehrerin und Schüler in der Regel verbindet. Er zögerte lange, bevor er Hatasu darauf ansprach. Er mochte nicht glauben, daß das Schicksal wirklich eine so glückliche Wendung zuließ, nachdem er noch immer an seiner alten Schuld litt.
    Als Asterios Woche um Woche in sein Haus kam und er sah, wie eng und tief die Beziehung zwischen den beiden wurde, griff er ein.
    »Höchste Zeit, daß wir wieder mit dem Üben beginnen«, sagte er eines Morgens, als Asterios vom Pferd gestiegen war und gerade die Eingangshalle durchqueren wollte.
    Hatasu, die ihm freudig entgegengegangen war, wurde blaß. Das bedeutete, daß sie Asterios künftig kaum noch sehen konnte.
    »Gut«, sagte sie nach kurzem Zögern und versuchte, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. Niemand sollte den Aufruhr in ihrem Inneren bemerken. »Bleiben wir heute noch bei unserem üblichen Programm, und morgen früh, zum Abschied, gibt’s eine Sonderbehandlung.«
     
    »Du liebst ihn?« sagte Aiakos ohne Umschweife, als sie abends zusammensaßen und Dienerinnen die Teller abgetragen hatten. »Wie einen Bruder?«
    Sie nickte. Leichte Röte färbte ihre Wangen. »Mehr als einen Bruder.«
    »Du weißt, wer er ist?«
    Hatasu nickte abermals.
    »Du mußt ihm Zeit lassen«, verlangte Aiakos. »Wir müssen uns alle in Geduld üben.«
    »Was habt ihr mit ihm vor, Minos und du?« Sie reagierte ungewohnt heftig. »Wollt ihr Asterios für eure Zwecke einspannen?«
    »Er hat noch einen weiten Weg vor sich«, wich der Vater aus. »Und kein einfaches Schicksal liegt vor ihm.«
    »Er ist nicht wie die anderen«, sagte Hatasu leise. »Niemals zuvor ist mir so ein Mann begegnet – von dir einmal abgesehen. Ich vertraue dir. Du wirst nichts tun, was ihm schaden könnte.« Ihre Augen waren voller Wärme.
    Jetzt war es Aiakos, der zu Boden sah. »Gib ihm die Chance, sich kennenzulernen! Er kann deine Gefühle erst erwidern, wenn er selbst weiß, wer er ist. Versprichst du mir das?«
    »Und du, so sorgsam und behütend mit ihm umzugehen wie – ein Vater?«
    »Ja«, sagte Aiakos. »Das werde ich.«
    »Ja«, versprach Hatasu. »Ich werde warten.«
    Am nächsten Morgen ließ sie Asterios das Hemd ausziehen und setzte nacheinander an der Innenseite seines linken Armes Druckpunkte. Er spürte, wie seine Muskeln heiß wurden. Dann zuckte er plötzlich mit verzerrtem Gesicht zusammen.
    »Schmerz und Lust sind nichts als vorübergehende Zustände«, murmelte Hatasu, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen. »Nimm sie hin, wie du sie erlebst. Das Ziel sollte freilich sein, dich immer weniger von

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