Palast der blauen Delphine
Niedergehen hinter dem Bullen.
Sie lächelte, während sie mit einem feinen Dachshaarpinsel letzte Korrekturen am Gesicht des Springers vornahm. Nur der mittleren Gestalt hatte sie die rote Farbe gegeben, die sie als Jüngling auswies; die beiden Figuren links und rechts von ihm zeigten helles Beige und waren somit weiblichen Geschlechts. Sie tupfte Glanzlichter auf die bunten Bänder der Schurze und intensivierte das Rot der Stiefel, die alle Springer trugen. Dann rief sie ihre Gehilfinnen, die auf der anderen Seite der Halle den Floralfries vollendet hatten.
Staunend standen die drei Frauen vor dem Gemälde. »Es ist wunderschön!« stieß die jüngste von ihnen mit einem kleinen Seufzer aus. »Pasiphaë wird begeistert sein.«
Laeto machte eine abwehrende Handbewegung. Ihre braunen Augen aber leuchteten, als sie ein wenig barsch befahl, die Farben wegzubringen.
Ein paar Stunden später war der Hof nahezu vollständig vor dem Kunstwerk versammelt. Pasiphaë, die die Künstlerin überschwenglich beglückwünschte; Minos, der sich zurückhaltender gab, das Werk aber ebenfalls lobte. Katreus und Deukalion hielten sich mit ihren Kommentaren zurück, während Ikaros Laeto mit Fragen bestürmte.
Daidalos, der etwas später dazugestoßen war, schien an diesem Nachmittag mißmutiger Stimmung. Nur auf Minos Wunsch hin hatte er seine Werkstätte verlassen. Sein Haar glänzte feucht, und an seinen Händen verriet keine Spur den Staub der Metalle; aber er war wortkarg und ging Laeto auffällig aus dem Weg.
Asterios fiel auf, wie wenig Vater und Sohn sich zu sagen hatten. Nicht ein einziges Mal richteten sie das Wort aneinander, und es kam ihm vor, als vermeide Ikaros die Nähe seines Vaters. Als schließlich auch noch Mirtho, Akakallis und Xenodike ihr Gefallen äußerten, verdüsterte sich Daidalos’ Miene zusehends. Er preßte beinahe seine Nase an das Bild, als verberge es ein Geheimnis. Als Minos zu ihm trat und einige halblaute Sätze sagte, reagierte Daidalos mit fahrigen, nervösen Gesten.
»Ich weiß gar nicht, was du willst«, sagte er, laut genug, daß es auch die anderen verstehen konnten. »Natürlich kann ich dieses Bild beurteilen! Schließlich bin ich selbst Künstler.«
Die scherzhafte Antwort, die Minos ihm darauf gab, hörte Asterios schon nicht mehr. Er hatte nur auf den Moment gewartet, in dem Pasiphaë sich zum Gehen wandte und damit das Signal zum allgemeinen Aufbruch gab.
Er verließ die Festhalle und lief hinüber zu den Ställen, um sein Pferd zu holen. Der Weg zu Hatasu lag im Sonnenschein, und Asterios bemerkte, daß die ersten Blätter sich bereits herbstlich verfärbt hatten. Einmal hielt er inne, weil er glaubte, den Klang von Hufen hinter sich gehört zu haben, aber als er stehenblieb, um zu lauschen, war alles ruhig. Er ritt weiter und erreichte den Garten, in dem Herbstblumen leuchteten und wilder Wein wuchs.
Er zögerte, den Vorhof zu betreten, und überlegte kurz, bevor er sich zu einem Abstecher an den Teich entschloß. Die Freude und Erleichterung des Morgens hatten leiser Melancholie Platz gemacht. Er wollte sich von Hatasu verabschieden und suchte nach den richtigen Worten, um es für sie beide leichterzumachen.
Als er ein leises Geräusch hinter sich vernahm und sich umdrehte, stand Ariadne vor ihm.
»Ich bin dir gefolgt, Asterios«, sagte sie, »um mit eigenen Augen zu sehen, worüber ganz Phaistos tuschelt. Erst mein Vater und jetzt auch du – diese Frau muß magische Fähigkeiten besitzen!«
Sie war schöner als in seinen Traumbildern, obwohl sie ein schmuckloses blaues Kleid trug und ihr Haar nachlässig mit einem Band aus dem Gesicht hielt. Er sah die kleinen Sommersprossen auf ihrer Nase, ihre makellosen Ohren. Ihre Haut war blaß; nur die Erregung hatte rote Flecken auf ihre Wangen gezeichnet. Tausendmal hatte er in den vergangenen Monaten ihre Begegnung herbeigesehnt. Jetzt stand er stumm vor ihr, unfähig, zu antworten.
»So schweigsam?« Der höhnische Ton traf ihn tief. »Findest du nicht, es wäre an der Zeit, mir deine Version der Geschichte zu erzählen?«
»Ariadne, ich …« Hilflos verstummte er. Es kann nicht sein, dachte er. Nicht so, Große Göttin, nicht so!
Ihr Gesicht war schmaler als früher, und ihre Augen zeigten ein Flackern, das er nie zuvor bemerkt hatte. Ariadnes ganzer Körper schien vor Anspannung zu vibrieren.
»Weißt du eigentlich, was du mir angetan hast?« brach es aus ihr heraus. »Ich war schwanger. Schwanger von dir!«
»Ich
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