Palast der blauen Delphine
liebe dich, Ariadni«, sagte er mit Nachdruck. »Ich hatte keine Ahnung, daß du meine Schwester bist.« Er trat näher auf sie zu.
»Und ich hasse dich, hörst du, ich hasse dich!« schrie sie und hob abwehrend die Arme. »Wie konntest du mich nur so hintergehen? Pasiphaë wird uns töten lassen, wenn sie erfährt, was geschehen ist!«
Abrupt wandte sie sich ab, schlang ihre Arme um den nächsten Stamm und begann zu schluchzen. »Ich wünschte, ich wäre schon tot!«
Da umfing er sie und küßte ihren Nacken, während er leise Koseworte flüsterte. Zunächst versuchte sie, sich ihm zu entziehen, aber schließlich gab sie ihren Widerstand auf und wurde ruhiger.
»Wir können unserem Schicksal nicht entfliehen«, murmelte er an ihrem Ohr. »Ich liebe dich wie am ersten Tag und werde dich immer lieben, obwohl du meine Schwester bist. Wir beide gehorchen anderen, ewigen Gesetzen, und unsere Liebe ist heilig, das weiß ich! Ist es nicht so, daß die Könige Ägyptens seit jeher ihre Schwestern geliebt haben? Und Minos ist noch nicht einmal mein Vater!«
Er hatte das falsche Argument gewählt, er spürte es an ihrem Körper, der sich wieder steif machte. Ariadne entwand sich seiner Umarmung.
»Hier ist Kreta und nicht Ägypten«, sagte sie barsch, und er sah das wiedererwachte Mißtrauen in ihrem Gesicht. »Wo war denn deine grenzenlose Liebe in all den schrecklichen Wochen, als ich sie so dringend gebraucht hätte? Wo warst du, als ich aus Verzweiflung unser Kind getötet habe – mein Bruder? «
»Bei dir!« rief Asterios, »Tag und Nacht! Jeden deiner Atemzüge habe ich gespürt und alle deine Schmerzen mit dir durchlitten! Als du das Kind verloren hast, verfehlten meine Hände die Hörner des Stiers. Ich bin gestürzt und habe mich schwer verletzt. Hätte Hatasu mich nicht gepflegt, wäre ich längst tot. Du hast keinen Grund, ihr irgend etwas übelzunehmen.«
»Wie freundlich von der ägyptischen Schlange!« zischte Ariadne. »Weißt du, daß ich die Göttin damals um deinen Tod angefleht habe?«
»Ich liebe dich, Ariadne«, wiederholte er leise.
»Und ich hasse dich! Verschwinde, Asterios! Verschwinde – ich will dich niemals wieder sehen!«
Und dann lag sie plötzlich in seinen Armen und drängte ihren weichen Körper gegen seinen. Sie umklammerte ihn so fest, als wolle sie ihn nie wieder loslassen. Mit beiden Händen zog sie seinen Kopf zu sich herunter, und er spürte ihre heißen Lippen.
»Nicht hier«, flüsterte sie, als seine Hand nach ihrer Brust tastete.
»Wo dann?«
»Hörst du nichts? Dort hinten waren Schritte, ich bin ganz sicher! Ich muß fort, Asterios. Ich erwarte dich morgen abend in Kaitos’ Taverne!«
Sie hauchte ihm eine Kußhand zu und verschwand zwischen den Zypressen.
Aufgewühlt blieb Asterios zurück. Er hatte die Augen geschlossen und schreckte zusammen, als er eine zarte Berührung an seiner Wange spürte. Neben ihm stand Hatasu, eine Kette von großen Goldtopasen um den Hals, die ihre Haut wie Samt schimmern ließen. Ein bitterer Zug lag um ihren Mund; ihre Stimme aber klang unverändert sanft und gelassen.
»Wie schön, daß du gekommen bist!«
Gold war auf ihren Lidern aufgetragen, und auf ihren hochangesetzten Backenknochen lag ein Hauch von Scharlach. Ihr Atem roch nach frischer Minze. Sie schien sorgsamer zurechtgemacht als gewöhnlich.
»Ich bin dir so dankbar für – alles«, sagte er unbeholfen.
»Laß uns ins Haus gehen und auf deinen Abschied trinken.« Sie reichte ihm den Arm. »Nun steht deiner Reise nach Knossos nichts mehr im Wege!«
»Am liebsten würde ich hierbleiben«, sagte Asterios, »bei meinem Freund Ikaros und in deiner Nähe! Ich liebe diese Landschaft, das Meer, die blauen Berge …«
»Ach, Asterios …« Hatasu lächelte. Sie hatte ihn in einen kleinen Raum geführt, der direkt an das Speisezimmer anschloß. Sie ließ sich auf einem Hocker nieder und zog den Tisch näher heran, auf dem eine schlanke Glaskaraffe, Becher und ein Bronzeteller mit Früchten standen.
»Ich weiß, daß ich gehen muß, und was ich zu tun habe. Aber ich habe jetzt schon Heimweh!«
»Du wirst dich verändern, Asterios, sehr sogar«, sagte Hatasu während des Einschenkens so leise, daß er sich anstrengen mußte, sie zu verstehen. »Manche sind auch nach dieser Einweihung noch die, die sie zuvor waren, aber nicht du, das weiß ich!«
Er sah sie fragend an. »Was meinst du damit?«
»Du wirst dich selbst erkennen«, sagte sie. »Bislang kennst du nur die hellen
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