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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Seiten deines Wesens. Aber die sind nur ein Teil von dir. In jedem von uns schlummern auch schwarze, gefährliche Untiefen, die wir nicht wahrhaben wollen und am liebsten ein Leben lang ignorieren würden.«
    »Das klingt beinahe, als müßte ich Angst haben, vor dem, was mich erwartet.«
    »Du wirst Angst haben, da ich bin ganz sicher, du wirst verzweifelt sein. Du wirst mit Gewalt konfrontiert sein, ja sogar Brutalität, und du triffst vielleicht auf etwas, das du dir jetzt noch nicht einmal vorstellen kannst. Nichts ist schwieriger, als seinem eigenen Schatten zu begegnen.«
    »Woher weißt du das alles?« Er legte seine Hand sanft auf ihren Arm, und Hatasu zuckte zurück.
    Wenn er mich noch einmal berührt, dachte sie, kann ich mein Versprechen nicht mehr halten.
    »Jede große Kultur hat eigene Einweihungsriten«, sagte sie mühsam beherrscht und verschränkte ihre Arme, um der Versuchung zu widerstehen. »Wir Ägypter gehen nicht ins Labyrinth, sondern in die Wüste. Die Einsamkeit der weißen Sternennächte lehrt die Menschen am Nil ihre eigene Lektion.«
    Beide schwiegen.
    »Es ist deine Chance«, sagte Hatasu schließlich, »dich ganz zu erfahren und zu wissen, wer du wirklich bist. Schließlich bist du der, auf den alle hier auf Kreta lange gewartet haben.«
    »Der Lilienprinz«, sagte er unhörbar. »So nennt ihn das Orakel.«
    »Ja, der Lilienprinz! Laß uns nun auf deine baldige Wiederkehr anstoßen, Asterios!«
    Sie tranken.
    »Du machst mich ganz nachdenklich«, sagte Asterios und setzte seinen Becher ab. »Und verwirrt.«
    »Warst du das nicht schon, als ich dich im Garten getroffen habe?«
    »Du bist heute so verändert, Susai«, sagte er und erhob sich schnell. »Niemals zuvor hast du auf diese Weise mit mir geredet!«
    »Das bin ich, Asterios«, erwiderte sie, und ihre Stimme klang leicht belegt. »Und es ist nicht nur, weil du weggehst.«
    Sie war ebenfalls aufgestanden. Ganz nah waren sie sich nun, ihr Gesicht zu seinem erhoben. Er sah die gespannte Erwartung in ihren Zügen, nahm wahr, daß Hatasus Mundwinkel leise bebten. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und streifte seinen Mund mit ihren Lippen.
    »Das ägyptische Wort für Schwester heißt Geliebte«, sagte sie fast tonlos. »Die Große Mutter schütze dich, Asterios!«
     
    In Chalara hatte Aurora ihn mit einem Wortschwall empfangen. Nachdem sie ihn wegen seines langen Fernbleibens ausgeschimpft hatte, war sie, bei entsprechender Entlohnung, bereit gewesen, das Zimmer in aller Eile herzurichten. Sie zupfte die Decken zurecht, schloß das Fenster und bestand darauf, das Mädchen mit der Kohlepfanne vorbeizuschicken. Dann, endlich, ließ sie ihn allein.
    Asterios wanderte unruhig auf und ab, getrieben von der Angst, Ariadne werde nicht kommen. Gleichzeitig fürchtete er sich vor dem Duft ihres Haares und der sanften Berührung ihres Körpers. Er fühlte sich wie ein Gefangener, gebunden mit unsichtbaren Stricken, unfähig zu entkommen, und wußte doch, daß er eigentlich nicht frei sein wollte.
    Nach kurzer Zeit hielt er es im Zimmer nicht mehr aus und ging voller Ungeduld draußen, in der kühlen, mondlosen Herbstnacht, auf und ab, bis er endlich ihre Schritte hörte und sie in seine Arme schließen konnte.
    Wie einen kostbaren Schatz führte er Ariadne nach drinnen. Dort, auf dem Bett mit der einfachen Decke, sah er sie lange an. Langsam zog sie sich aus. Kerzenlicht tauchte ihren Körper in Gold. Sie war beinahe dünn geworden; durchsichtig und schutzlos kam sie ihm vor.
    »Komm zu mir, Geliebter!« flüsterte sie voll Verlangen und streckte ihm die Arme entgegen.
    Er zögerte, bevor er die richtigen Worte fand. »Und wenn die Göttin erneut deinen Leib segnet?« fragte er leise.
    Ariadne schloß seine Lider mit kleinen Küssen. »Die schwarzen Neumondnächte sind nicht fruchtbar«, flüsterte sie und schmiegte sich an ihn.
    Als er in sie drang, spürte er, wie sehnsuchtsvoll sie ihn erwartet hatte. Alle Vorsicht vergaß er, alles Leid war vergangen.
    Augenblicke später, nachdem er den höchsten Gipfel seiner Lust überschritten hatte und noch heftig atmend in Ariadnes Armen lag, kam ihm unvermittelt seine letzte Begegnung mit Hatasu in den Sinn. »Geliebte ist das ägyptische Wort für Schwester«, meinte er sie leise sagen zu hören.
    Aber außer den beiden Liebenden war niemand im Zimmer.
     
    Zusammen mit Ikaros ritt er nach Norden. Opalblau hatte sich der Nida vor ihnen erhoben, bis sie nach Gortys kamen. In dem kleinen

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