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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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ein Unterschied zu den heimatlichen Palästen, wo Licht und Farbe miteinander spielten und die Schönheit der Wandmalereien alle Herzen öffnete!
    Hier, im großen Speisesaal der Burg aus Zyklopensteinen, hatte man für sie das Gastmahl aufgefahren. Ein Eichentisch, an dem eine halbe Hundertschaft tafeln konnte, stand auf dem gestampften Boden, und von irdenen Platten dampfte all das, was Attikas Scheunen und Keller zu bieten hatten: Schweine mit krosser Schwarte, die man über offenen Feuern geröstet hatte; Schüsseln, randvoll mit Erbsenbrei. Es gab trögeweise Hasenpfeffer und kleingehackte Innereien in scharfer Würzbrühe sowie gebratene Bärentatzen. Auf einem Nebentisch türmten sich Mandelkuchen, die beinahe die Größe von Wagenräder erreichten. Dazu wurde ein grünlicher Wein gereicht, dessen saures Aroma Minos sofort zum Wasserkrug greifen ließ.
    Seitdem er sich neben seinem Sohn am Tisch niedergelassen hatte, wurde er von allen angestaunt wie ein seltenes Tier. Die für einen Kreter merkwürdigen Manieren der Athener hatte er schon bei seinen früheren Besuchen kennengelernt, aber diesmal spürte er eine verhaltene Aggressivität unter den Noblen. Anfangs hatte sie ihn irritiert, aber inzwischen wußte er, wie er sie für seine eigenen Pläne nutzen konnte.
    »Sieh an! Minos von Kreta macht unseren guten Tropfen zum Froschwein«, spottete Phylos, ein enger Vertrauter Aigeus’. »Wahrscheinlich befürchtet er, der berauschende Geist des Weines könnte ihn sonst zu schnell überwältigen.«
    »Das kommt daher, weil die Weiber bei ihnen alles unter Verschluß halten«, fiel ein anderer ein, ein jüngerer Mann mit stumpfem braunen Haar und Habichtsnase. »Es heißt doch, den Männern auf Kreta bleibe nichts als blinder Gehorsam – oder geschickt angelegte Verstecke!« Prustend leerte er seinen Becher.
    »Ihr seid erstaunlich gut über unsere Gebräuche informiert«, sagte Minos mit spöttischem Zwinkern. »Ich wußte gar nicht, daß du Aigeus neuerdings auch als Mundschenk dienst«, sprach er Phylos direkt an.
    »Ich bin sein Freund, nicht sein Diener«, erwiderte dieser trotzig. Aigeus beeilte sich, ihm beizupflichten.
    Wie alt und verbraucht er aussieht, dachte Minos, und stocherte lustlos in seinem Schweinebauch. Angeekelt betrachtete er das blasse Grün des mittlerweile klumpig gewordenen Erbsenbreis auf seinem Teller. Tattrig ist Aigeus geworden, in seinem faltigen Gesicht und den trüben Augen ist keine Spur von dem anmaßenden König von damals mehr. Auch das Häuflein seiner Mitstreiter ist in die Jahre gekommen.
    Nachdenklich sah er in der Tafelrunde von einem zum anderen und spürte, wie Melancholie ihn ergriff. Wohin sein Auge auch blickte – nichts als Männer! Kein verheißungsvolles Rascheln eines Kleides, keine weiche Hand, die Wein nachgeschenkt und frische Früchte gereicht hätte! Nur rauhes Gelächter und deftige Scherze im kehligen Dialekt Attikas, den er zwar beherrschte, der in seinen Ohren aber ungeschliffen klang. Seine Nase fühlte sich beleidigt durch die strengen Gerüche. Es stank modrig nach feuchtem Stoff, säuerlich nach billigem Wein und minderwertig gebranntem Ton. Die Atmosphäre war beherrscht von verhaltener Aggression und unterdrückter Wut.
    Minos fühlte sich plötzlich müde. Die Gesichter der Athener verschwammen vor ihm, und er ließ sich weit weg treiben. In Gedanken kehrte er auf seine Insel zurück, wo zu dieser Zeit wilder Mohn und Kornblumen blühten. Er sah die Silhouette von Knossos vor sich, mit den vielen steinernen Doppelhörnern auf den Giebeln. Dorthin gehörte er, dort gab es Schönheit und Anmut!
    Nein, auch eine künftige Herrschaft der Männer durfte nicht zerstören, was die Weisen Frauen seit Jahrhunderten geschaffen und verfeinert hatten. Es ging nicht um einen Rückfall in stumpfe Barbarei, wie hier bei den Athenern, sondern um den Schutz und die Weiterentwicklung all dessen, was er liebte. Heimweh überkam ihn, so mächtig, daß seine Augen feucht wurden. Mit großer Anstrengung begann er heftig zu blinzeln.
    Die kretischen Bilder zerrannen, und sie waren wieder vor ihm, die satten, weinseligen Gesichter der Athener, aufgelöst und schwammig die einen, kalt und verschlossen die anderen. Beinahe hilfesuchend wandte er sich seinem Sohn zu und entdeckte Ekel in seinen Augen. Deukalion hatte den ganzen Abend über kaum etwas gesagt und seinen Teller, auf dem Brei und Fladen in erstarrtem Fett schwammen, so gut wie nicht angerührt.
    »Wie lange

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