Palast der blauen Delphine
schauten die Frauen immer wieder verstohlen zu dem Mann in ihrer Mitte, der den silbernen Schlangenreif am Oberarm trug, als wollten sie hinter sein Geheimnis kommen, während ein paar von ihnen den Vulkanausbruch schilderten. Nur Naïs, die jüngste, erzählte unbefangen.
»Ich war gerade im Heiligtum, um Laeto zur Hand zu gehen.«
Überrascht blickte Asterios hinüber zu der Künstlerin. Schon vor einem Jahr war sie nach Strongyle übersiedelt, um im Auftrag Pasiphaës das Heiligtum mit einem Bilderzyklus zu schmücken. Er war davon ausgegangen, daß sie ihre Arbeit längst beendet hatte.
»Plötzlich erzitterte der Boden unter meinen Füßen, und ich stürzte«, berichtete das Mädchen weiter. »Ein Grollen wie von einer Bestie, dann spaltete sich die Wand vor mir. Alles fiel herunter, Räucherschalen, Öllampen …«
»Die, der Göttin sei Dank, nicht brannten«, ergänzte Laeto bedächtig. »Sonst wäre der Schaden sicherlich noch größer geworden.«
»Wieviel größer könnte der Schaden noch sein?« sagte eine andere Priesterin. »Unser Heiligtum liegt in Trümmern, und deine schönen Bilder sind vernichtet.«
»Immerhin leben wir noch«, erwiderte Laeto nachdrücklich. Obwohl sie keine Priesterin war, schien sie unter den Dienerinnen der Großen Mutter besondere Achtung zu genießen. »Keine von uns wurde verletzt oder getötet. Die schützende Hand der Göttin ruhte auch während des Bebens wohlgefällig über uns. Dafür sollten wir der Allmächtigen danken.« Nach einer kleinen Pause sprach sie weiter. »Ich werde eben von neuem beginnen.«
»Die Göttin gebe, daß dir genügend Zeit dafür bleibt!« Asterios hatte sich bei ihren letzten Worten erhoben. Erwartungsvolle Stille machte sich breit. »Ich bin nicht hier, um über Aufräumungsarbeiten zu sprechen, wie ihr es vielleicht erwartet habt. Denn alles Instandsetzen ist sinnlos, wenn der Berg sich wieder erhebt.« Seine Worte fielen wie Peitschenhiebe. »Und er wird sich erneut erheben, um seine Zerstörung zu vollenden! Das ist es, was ich euch sagen muß!«
»Woher willst du das wissen?« Laeto schien unbeeindruckt.
»Ich weiß es«, antwortete er knapp. »Ich habe es gesehen.«
»Das ist mir nicht genug, verzeih!« Sie ließ sich nicht einschüchtern. »Auch wenn es aus dem Mund des Mannes stammt, der den Schlangenreif trägt. Wie kommst du zu dieser düsteren Vorhersage?«
Die gleiche Reaktion, wie er sie schon auf Kreta erlebt hatte! Selbst Pasiphaë konnte sich nur schwer daran gewöhnen, daß er das Gesicht besaß. Seine Bilder vom sterbenden Stier jedenfalls hatte sie mit großer Skepsis aufgenommen. Immer wieder spürte er ihre fragenden, sorgenvollen Blicke. Der Sohn, der seinen eigenen Weg ging, schien ihr mehr und mehr unheimlich zu werden. Manchmal, so dachte Asterios, wünschte sie wahrscheinlich, er wäre lieber die alte Verheißung geblieben, anstatt als Mensch mit Ideen, Wünschen und Forderungen in ihr Leben zu treten.
Die anderen Frauen tauschten vielsagende Blicke. Vermutlich dachten sie ganz ähnlich. Demonike, die seit mehr als dreißig Jahren im Haus der Priesterinnen lebte, versuchte zu vermitteln. »Nicht, daß wir dir nicht glauben wollen«, sagte sie mit bittendem Lächeln. »Aber vielleicht überschätzt du den Ausbruch von neulich, weil du mit den hiesigen Umständen nicht so vertraut bist.«
»Sicherlich, die Schäden sind beachtlich, und die Insel sieht zum Teil schlimm aus. Aber du kannst dich auf uns verlassen!« unterstützte sie Nephele.
»Wir können Erstaunliches leisten, du wirst schon sehen«, versprach Naïs. »Mit ein wenig Unterstützung vom Hof ist das Ärgste bald behoben. Wir sind an ein einfaches, arbeitsreiches Leben gewöhnt.«
»Ihr versteht mich nicht«, sagte Asterios unglücklich. »Ihr wollt mich einfach nicht verstehen!« Warum mußten die Frauen so engstirnig sein? Wenn nicht einmal sie ihm glaubten, wer sollte dann auf ihn hören? Er versuchte, ruhig zu bleiben. Er durfte sich jetzt nicht von Verzweiflung überwältigen lassen.
Zu seiner Überraschung schaltete sich Ikaros ein. »Asterios warnt euch eindringlich. Ich bitte euch, hört ihm zu! Denn ihr schwebt alle in großer Gefahr!«
»Braucht er dich als Fürsprecher?« fragte Laeto. Jede Verbindlichkeit war aus ihrem Ton verschwunden. »Woher wissen wir, daß er recht hat? Bisher waren nur Priesterinnen mit dem Zweiten Gesicht gesegnet – Frauen, keine Männer!«
»Ist das in solch einem Augenblick nicht ganz
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