Palast der blauen Delphine
muß ich das noch aushalten?« zischte er nun gepreßt seinem Vater zu.
Bevor Minos antworten konnte, erhielt er einen harten Stoß von seinem Nachbarn zur Linken. Sein Becher fiel ihm aus der Hand, und seine Leinenhosen färbten sich dunkel. Simos, seit langen Jahren der Waffenbruder von Aigeus, murmelte erschrokken eine Entschuldigung. Sofort wurde der Vorfall allgemein kommentiert.
Eine jugendliche, ein wenig knarzende Stimme übertönte alle anderen. »Ist der König von Kreta zu schwach, um seinen Becher zu halten?«
Ein junger Mann von athletischem Körperbau mit hellen, beinahe farblosen Augen und weizenblondem Haar hatte sich quer über den Tisch gebeugt und starrte ihn dreist an. Er trug weitgeschnittene Lederhosen und einen Überwurf in leuchtendem Scharlach, der sich grell von den düsteren Farben der anderen abhob.
Minos musterte ihn eine ganze Weile, dann wandte er sich an Aigeus, der zu seiner Rechten saß.
»Wer ist dieser Junge, der kein Benehmen hat?« sagte er so laut, daß es im ganzen Saal zu hören war.
»Das ist Theseus, mein Sohn«, erwiderte Aigeus voller Stolz.
»Dein Sohn!« Minos zog erstaunt die Brauen hoch. »Wieso lernen wir ihn dann erst heute kennen?« Er lächelte boshaft und berührte wie zufällig seinen Gürtel. »Ist er vielleicht wie deine Göttin Athene direkt dem väterlichen Schädel entsprungen?«
Dünnes Gelächter kam von den Kretern, während Minos nun wieder den jungen Mann musterte. Er hatte dichte blonde Brauen, eine kräftige Nase und einen breiten Mund mit schmaler Oberlippe, was ihm einen leicht verschlagenen Zug gab. Über seine rechte Wange zog sich eine wulstige, sichelförmige Narbe. »Bei uns auf Kreta sind es immer noch die Frauen, die die Kinder gebären«, setzte er langsam hinzu. »Hier, in Athenai, hielte ich es allerdings nicht für ausgeschlossen, daß ihr andere Lösungen gefunden habt.«
»Bei allem Respekt für die schlangenbezwingende Athene, die unserer Stadt ihren Namen gegeben hat: Meine Mutter ist Prinzessin Aithra aus Troizen«, stieß Theseus hervor.
Aigeus runzelte die Stirn bei diesen Worten.
»So bist du einer der zahlreichen Bastarde des Königs«, versetzte Minos. Sichtlich ergötzt beobachtete er, wie Theseus rot anlief.
»Du irrst dich, Minos«, antwortete Aigeus rasch. »Theseus wird mein Thronfolger sein. Die Götter hatten mir bislang wenig Glück mit meinen Nachkommen gegönnt. Zwei meiner Frauen starben im Kindbett, andere Kinder wurden nur wenige Jahre alt. Theseus nun«, ein Leuchten ging über sein Gesicht, »ist die Hoffnung meiner späten Jahre. In seine Hände werde ich bald die Regentschaft der Stadt legen.«
Die Männer an der Tafel wurden unruhig, und Minos sah, wie einige untereinander zu tuscheln begannen. Er hatte sich nicht geirrt. Die meisten waren mit dem Bastard nicht einverstanden.
»Wie klug und vorausschauend euer Herrscher doch ist.« Minos sprach nun direkt zu der Runde der attischen Edelleute und wählte jedes seiner Worte sehr sorgfältig. »Obwohl er noch stark und rüstig aussieht, will er doch schon heute seinen Sohn auf sein hohes Amt vorbereiten.« Er legte eine Pause ein. »Nicht ganz einfach, wenn man bedenkt, daß der junge Mann nicht aus eurer Stadt stammt. Ich kann mir nur schwer vorstellen, daß Troizen der rechte Ort ist, um all das zu lernen, was man als Herrscher Athenais wissen muß.«
Er beobachtete, daß Aigeus wie unter einer schweren Last zusammensank. Theseus aber nahm die Herausforderung an.
»Ich bin fast neunzehn«, prahlte er und warf sich in die Brust. Ich kann jedes Pferd reiten und jeden Mann im Schwert- oder Boxkampf besiegen. Ich bin ein schneller Läufer und ein guter Jäger. Ich schwimme wie ein Fisch, und keiner weiß wie ich den Bogen zu spannen.«
»Nicht übel«, lächelte Minos süffisant, während er die anderen Athener im Auge behielt. Er hätte schwören können, daß sich mehr als eine Faust unter dem Tisch ballte. »Für den künftigen König von Athenai allerdings vielleicht doch ein bißchen dürftig. Ich vermisse die Wissenschaften in deiner Aufzählung, Sternenkunde und Navigation etwa, Astrologie und Philosophie, Naturlehre und Heilwesen nicht zu vergessen – und woran sich sonst noch alles denken ließe, ohne die werte Tischgesellschaft zu langweilen.« Seine angedeutete Verneigung war purer Spott. »So mangelhaft ausgebildet wirst du deinem Volk zwar ein körperlich kräftiger, leider aber ein einfältiger Herrscher sein.«
»Einfältig!«
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