Palast der Schatten - historischer Kriminalroman
dazu schreiben, sie dann auf dieses kleine Regal legen und dann die besten Ausschnitte wieder neu zusammensetzen. Hier, nimm du die Schere.«
Theo drehte den Film über die Spule. Die Bilder reisten über den Lichttisch.
»Da, der schlafende Mann mit der Schottenmütze.« Sie lachten. Schnitt. »Und hier kommt der Zimmermann.« Schnitt. »Die Dame mit dem Federhut.« Schnitt. Theo heftete die Streifen an die Lichtleiste oberhalb des Tisches. Die ganze Nacht verbrachten sie mit Schneiden, Auswählen, Kleben und Anschauen. Vor und zurück lief ihre Hutwelt.
Am frühen Morgen verlieÃen sie Arm in Arm die winzige Kammer, gingen in ihre Wohnung hinauf und fielen in einen seligen Schlaf, der bis zum frühen Nachmittag währte.
Der arme Schlucker
Theo las, auf dem Sessel sitzend, ein Kinomagazin. Carla lag auf dem Sofa und studierte den Filmkatalog.
»Hör mal, hier wird ein Film angekündigt mit durchkomponierter Begleitmusik. Das ist einzigartig. Ein Film mit einer richtigen Komposition dazu. Das hat es noch nicht gegeben. Ich möchte das ausprobieren.«
»Ist es ein langer Film?«
»Ja.«
»Wie lang?«
»42 Minuten.«
»Hier stehtâs gerade in der âºLichtbild-Bühneâ¹:
âºMahnung an alle!
Die Leihpreise der groÃen zwei- bis drei Kilometerfilms sind vom Theaterbesitzer nie zu verdienen und können nie mit den Kasseneinnahmen in Einklang gebracht werden. Dazu kommen noch riesige Reklame-Unkosten, die zu seinem Ruin führen.â¹
Und hier, höre:
âºDie literarischen Films entsprechen meist nicht dem Geschmack der breiten Masse. Des Volkes Wille ist zu respektieren.
Unsere Devise lautet nach wie vor:
Filmkunst fürs Volk zu normalen Leihpreisen.â¹Â«
»Er ist ja nur 900 Meter lang. Ich möchte den Film begleiten. Ich finde es spannend, eine Filmkomposition zu spielen. Wir könnten uns mit ein paar anderen kleineren Kinos zusammentun und die Filmrollen tauschen.«
»Wie heiÃt denn der Film?«
»Der Student von Prag.«
»Was sollen wir in einem Kleine-Leute-Kino mit einer Studentengeschichte?«
»Diese Bemerkung hättest du dir sparen können. Die Leute sehen auch Films von Reichen und Königen. Und zwar sehr gern.«
»Worum geht es denn?«
»Ich les es dir vor:
âºDie Handlung spielt 1820 in Prag. Balduin, ein armer, heruntergekommener Student, wünscht sich, reich zu sein. Er trifft auf Scapinelli, einen zwielichtigen Mann, der ihm Gold bietet und als Gegenleistung fordert, einen Gegenstand aus seinem Zimmer mitnehmen zu dürfen. Balduin willigt ein. Zu seiner Verwunderung wählt der mysteriöse Mann Balduins Spiegelbild und verlässt mit ihm das Zimmer.
Der reich gewordene Student verkehrt von nun an in den besten Kreisen der Stadt und verliebt sich in die Tochter des Grafen, der er bei einer Jagd das Leben gerettet hat. Die Komtesse, die bereits mit ihrem Vetter verlobt ist, erwidert Balduins Liebe. Es kommt zu einem Duell der Rivalen. Balduin, der als bester Fechter der Stadt bekannt ist, verspricht dem Grafen, den Vetter nicht zu töten. Doch der falsche Balduin, also das Spiegelbild, hat sich bereits duelliert und den Verlobten der Komtesse getötet. Von nun an taucht das Spiegelbild überall auf, wo Balduin sich aufhält. Er kann es nicht mehr abschütteln. Er ist am Rande seiner Nervenkraft. Es hetzt ihn durch die ganze Stadt.
Balduin rettet sich in sein Zimmer. Auch dort trifft er auf sein Spiegelbild. In seiner Not zieht er den Revolver und schieÃt auf den falschen Balduin. Das Spiegelbild verpufft. Der richtige Balduin lacht. Doch dann bricht er zusammen. Denn er hat sich selbst erschossen.â¹Â«
»Hm, nicht so schlecht, also gut, wenn du es dir wünschst, werd ich sehen, wie wir an den Film kommen. Aber wir müssen nach Erscheinen etwas warten, dann wird die Leihgebühr billiger.«
Vielleicht könnte er den Film ja bis zu ihrem Geburtstag besorgen, kam es ihm in den Sinn. Theo beugte sich über das Sofa und küsste Carla so lang, bis sie ihre Lektüre fallen lieÃ.
Dunkles Geheimnis
Theo und Hans betraten die Eckkneipe. Sie setzten sich an einen der dunklen, runden Holztische. Stimmengewirr surrte durch den Schankraum, durchbrochen von Rufen eines Betrunkenen, der mit einem gefüllten Schnapsglas umhertorkelte. Hinter dem Tresen klapperten Gläser und Flaschen.
Sie bestellten Bier. Theo bot
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