Palast der Schatten - historischer Kriminalroman
durch die Puppenstube, die vormals seine Wohnung war. Sie führte ihn ins Schlafzimmer. Blendend weiÃe Spitzenbettwäsche leuchtete ihm entgegen. Am Fenster samtblaue Vorhänge und ein kleiner blauer Läufer auf den Dielen. Er fühlte sich fremd in all dieser Ordentlichkeit. Doch sie hatte tagelang genäht, gearbeitet für ein Zuhause, das ihr gefiel. Für ihr gemeinsames Zuhause. Theo küsste Carla und führte sie in das Reich der duftenden Daunen. Und sie versanken in dem weiÃen Traum aus Stoff und feierten, bis sie wohlig erschöpft einschliefen.
Carla hörte einen Schrei. Sie schnellte hoch, riss die Augen auf. Licht blendete und schmerzte auf ihren Lidern. Die Nachttischlampe brannte. Theo hielt ihre Hand.
»Was hast du, Carla?«
»Wie? Was meinst du?«
Sein Blick drang in sie ein, wühlte in ihren Augen.
»Du hast geschrien.«
»Ich kann mich nicht erinnern. Es war wohl ein böser Traum.«
Ihre Augen flackerten.
»Was, was habe ich denn geschrien?«
Theo streichelte sie.
»Du hast ganz laut âºNeiiin, nicht!â¹ geschrien.«
»So? Seltsam â¦Â«
Ãber ihr Gesicht huschte ein flüchtiges Lächeln. Sie verkroch sich in Theos Armkuhle und tat so, als ob sie weiterschliefe.
Die Glückspuppen
Die neuen Films waren eingetroffen. Theo und Carla saÃen in der achten Stuhlreihe mittig zur Leinwand.
»Fang an, Max!«, rief Theo.
Der Projektor surrte.
Theo überlegte, wie er die Figuren einführen könnte und ob er Informationen vor oder nach einer Szene geben sollte. Wenn ihm gute Wörter und Sätze einfielen, notierte er sie in seinem Heft. âºIch liebe dichâ¹, schrieb er und malte ein Herz daneben. Er blinzelte zu Carla hinüber, die die Bilder verfolgte. Wenn sie konzentriert war, kräuselte sich eine kleine Kerbe zwischen ihren Augenbrauen und ihre sonst vollen, roten Lippen formten sich zu blassen und schmalen Strichen. Gern hätte er ihr die Lippen wieder rot geküsst. Er war vom Schicksal begünstigt. Er schwebte in Glück. Jeden Morgen, wenn er aufwachte, jede Nacht, wenn sie bei ihm lag, spürte er Glück. Er dachte an Simons Worte und wünschte sich, er könne dieses Glück auf der Leinwand festhalten, damit er es niemals verlöre. Würde Carla sein einfaches Leben, das Kino, aushalten?
Carla machte sich neue Gedanken zur Klavierbegleitung. Die Vorschläge der Kinotek hatte sie bereits durchgespielt. Pauls Noten ebenfalls. Sie waren ihr zu eintönig. Bei Sturm und Schiffsuntergang: Ouvertüre zu Rossinis âºWilhelm Tellâ¹, Vorspiel zum âºFliegenden Holländerâ¹ oder das entsprechende Stück aus Griegs âºPeer Gyntâ¹.
Sterbeszene: Tschaikowskis Etüde op.40/2 (Chanson triste), das e-Moll-Prélude (op 28, Nr.4) von Chopin oder der langsame Satz aus der Unvollendeten von Schubert. Immer wieder Tschaikowski für alle Gefühlsszenen. Sie seufzte. Eine plumpe, monotone Auswahl. Es war am besten, eigene, gleichmäÃig fortlaufende Melodien und Fantasien zu finden, die im GroÃen und Ganzen mit den Stimmungen der Handlung übereinstimmten und sich mit ihr veränderten. Am wichtigsten schien ihr, das Musikstück zeitgleich mit der neuen Szene zu wechseln. Daher musste die Begleitmusik aus kurzen Stücken bestehen. Sie machte sich einen musikalischen Fahrplan, nach Themen geordnet. Lieblich-Innig, Fröhlich-Heiter, Heroisch, Leidenschaftlich-Seelenschmerz-Zweifel, Tumult-Flucht-Verfolgung, Elegisch-Melancholisch-Sehnsucht.
Katastrophenmusik für dramatische ZusammenstöÃe, Nachtmusik für Spuk, Grauen, Gespenster. Bewegte Musik für Brand, Tumult, Kampf.
Liebesthema: zum Beispiel Fortschreiten in kleinen Terzen, dann Quintsechstsprung nach unten, Sekundschritt nach oben.
Dynamik, Rhythmus, Stimmung des Films und der Szenen. Moll oder Dur?
Wiederkehrende Stücke oder Akkordfolgen als Leitmotiv für die Figuren.
Begleitung der Zwischentitel dem Inhalt der Botschaft anpassen.
Erklärer: Leise untermalen, dann eine Gavotte in gleicher Tonart.
Sie lugte zu Theo, in der sehnsüchtigen Erwartung, des Nachts ihren Körper an den seinen zu schmiegen. Doch es war nicht nur das körperliche Verlangen. Vielleicht sehnte sie sich noch mehr nach der Geborgenheit, die er ihr gab. Noch nie hatte sie diese Ruhe verspürt. Bei ihm fühlte sie sich, als wäre sie nach einer langen, gefahrvollen Reise
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