Palast der Schatten - historischer Kriminalroman
aus.«
Theo schlug um sich. Will raus aus dem Loch! Raus! Nur raus!
»Ihr werdet abgelöst, wenn zwei Drittel der Mannschaft auÃer Gefecht gesetzt sind. Das ist die übliche Quote«, hörte er den Offizier sagen. Zwei Drittel, hallte es in Theo nach. Sie lebten mit den Toten, sie benutzten ihre Munition, aÃen ihr Essen, tranken aus ihren Wasserflaschen. Ihre Skelette, mit denen der Grabenboden übersät war, knirschten unter den Stiefeln. Es waren die Gerippe der Kameraden, die von der Armee der Ratten abgenagt worden waren. Wenn sie einen Toten verdaut hatten, fraÃen sie den nächsten. Die Ratten werden die Sieger dieses Krieges sein. Niemand sonst. Nicht Deutschland, Ãsterreich, nicht Frankreich, Russland, England, sondern die Ratten, denn sie waren klug. Sie kannten keine Nationalitäten, keine Grenzen. Sieg der Ratten! Sieg der Ratten! Ein tonloser Schrei entwich Theo.
Die schwarze Nacht stülpte sich über die Ebene. Einige Sterne zitterten am Himmel. Ihr fahles Licht lieà den französischen Schützengraben wie eine Kreidezeichnung erscheinen. Nur 60 Meter entfernt schlängelte er sich hinter einem Acker von Stacheldraht gleich einem Reptil durch die aschgraue Landschaft. Die Stille war gespenstisch. Der Tod schlich schweigend umher, kroch lautlos über das fruchtbare Feld, in Vorfreude auf die reiche Ernte. Plötzlich ein Ton. Ein Franzose begann zu singen. Er sang eine Arie. Seine Töne schwebten schneeflockenweich über der Ebene. Die Soldaten lauschten. Der Sänger verstummte. Theos Mund öffnete sich. Auf seinem Atem strömte »Lolita, ich sterbe ohne dich« aus seinem Herzen heraus. Die Männer träumten in der traurigen Stille, die folgte. Wie ein Zauber hing ihnen der Gesang nach.
Dann bohrte sich ein hohes Pfeifen in den Zauber hinein. Ein runder Feuerball schoss in den Himmel. Böschungen und Pfähle blitzten auf, ein unendlicher Aufmarsch stummer Phantome, die sich aus dem dunklen Gras wie Wachposten erhoben. Ein Knall. Alarm! Alarm! Kugeln pfeifen, Kanonen donnern, Granaten heulen, Schrapnells surren, Zünder zwitschern, Gewehre knattern Trommelfeuer. Ssst bum ssst bum ssst bum bum bum. Drrrrrrrt. Drrrrrrrrrt.
Krachen, Platzen, Splitterregen. Volle Deckung. Zieht die Masken! Stöhnen, Würgen. Brüllen, Kreischen, Wimmern, Röcheln. Trommelklang und Grabgesang. Dumpfes Dröhnen, leises Zischen. Ratten schmatzen, Leichen tönen. Feld der Ehre. Feld der Ehre. TUSCH! TUSCH! TUSCH! TUSCH!
Theo schrie. Hände, Arme, Beine, Köpfe flogen ihm entgegen. Menschenfetzen, blutdurchtränkte Uniformen. Rotes Feldfleisch im Gesicht. Schreie, Brüllen. Schrankenloses. Menschenklumpen. Feuerschlünde. Blitze, Knalle, Donnerdröhnen. Schreie, Schreie, Gellen, Kreischen.
Jähe Stille
Dumpf und schwer
Feuchte Erde über ihm
Schreie, Schüsse
Dumpf, verzerrt
Schreie, Schüsse
Ferner, leiser
Grabesstille.
Atmen, atmen
Keuchen
Lachen
Wahnwitzig, die Todesangst
Hier! Hier! Holt mich! Hierholtmich!
Schwärze. Stille.
Schwärze. Stille.
Schwärze. Stille.
Gedanken springen aus der Gruft
Carlaaaa!
Stille.
Gliederschauer
Der Tod
Der Tod erstickt
Der Tod
Sinkt tiefer, in bodenlosen Abgrund
Steh auf! Steh auf!
Nur Gliederzucken.
Luft! Luft!
Todesschatten
FlieÃend
Schwarze Flügelschläge
Flüstern
Hierholtmich! Holtmich!
Liegt ins Loch geworfen
Begraben auf blutigem Feld
Niedergestampft
Der Kopf geknickt
Die Lider zittern
Ãchzend, sein Röcheln
Trocken, das Ãchzen
Tod in der Brust
Lacht, der Tod
Wie Granaten, die splittern
Atmet flach
Dünn
Das Gelächter
Schwarze Fahnen
Flattern
Krähenkreuze
Fliegen auf
Er schwebt
Im Licht
Mutter!
Simon!
Carlaaa!
âºGeliebte Carla!
Wenn du diese Nachricht von mir erhältst, bin ich nicht mehr in dieser Welt. Trauere nicht um mich. Das Jenseits kann nur schöner sein. Der Krieg ist ein Gespenst in grauen Lumpen, der Mensch nichts weiter als ein elender Wurm im Trommelfeuer der Bosheit. Es gibt keinen Frieden, keine Heimat mehr.
Ich habe dich geliebt wie keine andere Frau. Danke für den Sonnenschein und das Glück, das du mir geschenkt hast.
Der Wind singt leise in den Zweigen der Birken. Die wilden Kirschen blühen. Darunter wachsen Anemonen und Hyazinthen. Ich pflücke dir einen Strauà und schicke ihn dir mit dem sanften Hauch des Abendwindes.
Adieu
Auf immer
Dein
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