Palast der Schatten - historischer Kriminalroman
langte über den Tresen und tätschelte ihr die Wange.
»Ja, das ist recht. Geben Sie die Hoffnung nicht auf.«
Bildernebel
Theo erwachte aus einem tiefen Schlaf. Mit verschleierten Augen blickte er sich um. Wo war er? WeiÃer Nebel. Ãberall weiÃer Nebel. WeiÃallesweiÃ. War das der Tod? Er riss die verklebten Lider auf, versuchte aufzustehen. Konnte sich nicht regen. Riss und zerrte. Wo bin ich?, wollte Theo rufen, aber seine Stimme verweigerte sich. Er rüttelte mit übermenschlicher Kraft an den Fesseln, hörte Schreie, Gelächter. Es war er selbst, der schrie und lachte.
WeiÃe Gestalten kamen auf ihn zu. Eine Spritze schoss aus dem Weià hervor. Nadelstich. Ãthergeruch. Sein Kopf fiel auf das Kissen zurück. Gähnen. Die trüben Augen schlossen sich wieder. Und er versank in den Nebel.
»Was ist mit ihm?«, fragte der Lazarettarzt den Assistenten.
»Der Mann sah, wie acht Kameraden seiner nächsten Umgebung von einer schweren Granate zerrissen und verstümmelt wurden. Wurde dann verschüttet und lag 18 Stunden unter der Erde. Er hat nur durch ein kleines Luftloch zwischen zwei Holzlatten überlebt. Man trug ihn bewusstlos zum Truppenverbandsplatz. Seit seinem Erwachen allgemeines Zittern, ruckartiges Einziehen des Kopfes zwischen die Schultern und duckendes Einknicken der Knie gegen vermeintliche Geschosse. Krampfhafte Schrei- und Lachanfälle, mit begleitenden Wutausbrüchen, die mit Flügelschlagen der Arme und Verdrehungen des Rumpfes einhergehen. Er ist übrigens schon mehrmals nervenschwach gewesen. War immer im Stellungskampf im Westen.«
»Also kein Simulant?«
»Der bestimmt nicht.«
»Es werden immer mehr. Als würden sie sich gegenseitig infizieren. Rückführung in die Heimat mit dem nächsten Transport, dort Einweisung in die städtische Irrenanstalt. Sollen die sich was ausdenken. Wir können hier nicht wochenlang an ihm herumdoktern. Und vergessen Sie nicht den neuen Befehl. Keine Benachrichtigung der Angehörigen. Die Männer sollen keinen Kontakt zu ihnen haben und so schnell wie möglich wieder einsatzfähig gemacht werden.«
Der hängengebliebene Kuss
Carla begleitete alle Films ohne Konzentration. Sie hatte nur einen Wunsch: Max zu danken. Endlich erschienen die Reiskörner auf der Leinwand, die Lampe des Projektors erlosch, das Saallicht blitzte auf. Die Zuschauer schoben nach Hause. Wo blieb Guste mit der Kasse? Warum trödelte sie gerade heute? Die Kinojungen waren auch schon gegangen. Der Vorhang bewegte sich. Guste schlurfte ihr entgegen, reichte ihr die Tageseinnahmen.
»Bis morgen.«
»Ja, bis morgen. Gute Nacht.«
Carla lief zur Kabine, öffnete die Tür, schlüpfte in den engen Raum.
»Max, Max, Max, ich habe alles!« Ihre Augen strahlten.
Max lächelte.
»Gratuliere, Fräulein Meyer.«
»Ich möchte mit dir feiern. Ich habe Wein und Schinken gekauft. Und Brot gebacken. Kommst du noch mit?«
Max betrachtete ihre geröteten Wangen, die leuchtenden Augen.
»Ich ⦠Gut, ich muss nur noch aufräumen.«
Er nahm die Rollen, legte sie in die Blechbüchsen und sortierte sie ins Regal.
Carla trat einen Schritt zurück, um ihm Platz zu machen. Der Wassereimer zum Feuerlöschen fiel um.
»Verdammt!«
Max warf ihr einen alten Lumpen zu. Gemeinsam krochen sie auf dem Boden umher und wischten das Wasser auf. Als ihre Köpfe aneinanderstieÃen, brachen sie in Gelächter aus. Sie verstummten. Max zog Carla an sich, küsste sie lang. Carla beendete den Kuss.
»Max, was auch mit uns passiert. Ich liebe Theo, du verstehst? Wenn Theo wieder da ist â¦Â«
Max hielt sie in den Armen.
»Ist gut. Kein Wort mehr.«
Sie lagen unter den Daunen, aneinandergeschmiegt wie kleine Kaninchen. Lagen beisammen, ohne zu reden. Vor Carla tanzten Bilder. Wieso kam ihr ihre Kindheit ins Gedächtnis? Sie sitzt als kleines Mädchen im Speisezimmer, mit sauberen Händen und Nägeln, die Haare zu dicken Zöpfen geflochten. Die Wände sind geschmückt mit Stillleben und Jagdszenen mit Hunden, die aus dem Gemälde herauskläffen. Sie sitzt vis-à -vis des groÃen Büfetts mit dem Kunstblumenstrauà auf der Ablage und den Rotweinkelchen und Sammeltassen, die hinter der Vitrine, auf Häkeldeckchen platziert, zur Schau stehen, Preziosen, die sie nicht berühren darf. Die starren Augen des Vaters
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