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Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Titel: Palast der Schatten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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sind auf sie gerichtet. Augen, die sie zu einem Nichts werden lassen. Augen, die von ihr und der Mutter fordern, sich unauffällig und ohne unangenehme Störungen des Alltags zu fügen. Augen, die tadeln und verbieten. Augen, die hassen und vernichten. Sie richtet die Augen auf die Speisen. Sie stellt sich vor, wie plötzlich der Lüster mit dröhnendem Donner von der Decke fällt, um die Mahlzeit mit aufspritzendem Essen und zerspringenden Gläsern und Tellern zu beenden. Doch es geschieht nur in ihrer Fantasie. Auch die Tassen mit dem von grünen Ranken und Fähnchen umwundenen Brustbild des Kaisers bleiben heil.
    Ein Bild schiebt sich ins andere. Sie sieht sich aus alten Postkarten schmale Papierkeile schneiden, um Streichhölzer zu schonen. Von den Drucksachen und Briefen schneidet sie das unbeschriebene weiße Papier ab, um sie als Notizzettel weiterzubenutzen. Klopft den Lack von den eingemachten Saftflaschen ab, um ihn im nächsten Jahr wiederzuverwenden.
    Das Grab der Mutter erschien vor ihren Augen. Carla zog die Decke über sich, wickelte sich fest ein, schmiegte sich fester an Max.
    Â»Ich wäre gern eine richtige Pianistin geworden«, sagte sie plötzlich.
    Â»Was hat dich davon abgehalten? Du hast das Zeug dazu.«
    Â»Hätte ich jemals diesen Wunsch geäußert, wäre ich von meinem Vater grün und blau geschlagen und in den Karzer gesperrt worden. Außerdem bin ich nicht begabt genug. Ich bin keine Clara Schumann. Aber vielleicht, vielleicht hätte ich eine Chance gehabt. Meine Mutter hätte es gewollt.«
    Max streichelte ihr Haar. Carla sehnte sich danach zu sprechen. Sie musste sprechen. Die Worte ließen sich nicht mehr zurückhalten, quollen aus ihr heraus.
    Â»Mein Vater war Lehrer. Er war sehr streng. Ich musste Händchen geben, knicksen, Danke sagen und gehorchen. Den Hass, den er aus der Schule mitbrachte, entlud er zu Hause. Er gehörte zu jenen Lehrern, die darüber verbitterten, nicht geachtet zu werden, obwohl sie die Elite des Volkes unterrichteten. Als meine Mutter starb, bat ich ihn, aufs Lehrerinnenseminar gehen zu dürfen. Ich wollte weg von ihm. Vater zögerte die Entscheidung immer wieder hinaus. Er ließ mich den Haushalt führen. Er sperrte mich in sein Leben ein. Und das Seminar blieb unerreichbar.«
    Â»Und dann hast du geheiratet.«
    Â»Ja, Eduard Zach, angesehenster Buchhändler der Stadt, Zachs Buch-, Antiquariat- und Musikalienhandel, Verkaufsräume des Haupthauses über drei Etagen. Weitere Filialen im Umkreis, auch eine Druckerei. Ich kaufte meine Lektüre und Noten in seinem Geschäft. Eduard interessierte sich für mich. Ich fand Gefallen an seiner zurückhaltenden, freundlichen Art, die sich so sehr von Vaters Zorn unterschied. Ich fühlte mich angenommen. Eduard liebte mich. Das glaubte ich jedenfalls. Er liebte mich auf eine schüchterne, unaufdringliche Art. Und ich verliebte mich in ihn. Heute weiß ich, es war keine Liebe. Vielleicht habe ich ihn wegen seiner Freundlichkeit, und weil er mich liebte, geheiratet. Und weil ich vom Vater fort wollte.« Carlas Augen verdunkelten sich. »Eduard war ein zuvorkommender Ehemann. Niemals herrschte er mich an. Nie fiel ein lautes Wort. Meine Liebe, was möchtest du gern? Hast du einen Wunsch? Kann ich etwas für dich tun? Er ließ mich alles so machen, wie ich es wollte. Und ich tat mein Bestes, eine gute Ehefrau zu sein.«
    Carla spürte ein Reißen in der Brust.
    Â»Er verhielt sich mir gegenüber, als wäre er aus einem Anstandsbuch herausgekrochen. Er erstickte mich mit einer Höflichkeit, die mich frösteln ließ. Ich lebte neben ihm wie eine tote Hülle, umgeben von schönen Möbeln, Büchern und Worten, die mit Schonern überzogen waren und aus denen der Geruch von Mottenpulver herausdünstete.
    Ich wurde immer ratloser und trauriger, denn ich spürte, dass Eduard mich nur ungern und selten berührte. Ich wusste nicht, was ich falsch machte. Ich bemühte mich so sehr, ihm zu gefallen. Ich pflegte und kleidete mich reizvoll und ich verwöhnte ihn. Doch Eduard sperrte mich und meine Leidenschaft hinter Gitter. Schon einige Wochen nach unserer Hochzeit zog er sich ganz zurück. Er begehrte nicht mich, nicht meine Brüste, meinen Körper, mein Parfum, sondern kunstvolle Ledereinbände mit Vergoldungen, schöne Amoretten und den staubigen Geruch der vergilbten Wälzer

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