Palast der Schatten - historischer Kriminalroman
Theoâ¹
Ende des dritten Aktes
4. Akt
Der Blinde in Uniform
»Ja?«, rief Carla.
»Ich binâs, Max.«
»Komm rein, es ist offen.«
Max schloss die Tür hinter sich. Er lächelte.
»Die Papiere sind fertig.«
Carla sprang vom Stuhl auf.
»Max! Max!« Sie küsste ihn stürmisch auf den Mund.
Ihre Lippen hinterlieÃen einen heiÃen Strom, der bis in seinen Unterleib floss. Er schob sie sanft zurück.
»Du wirst am Dienstag um zwölf Uhr ins Café Schneider am Rathaus gehen. Dort wird ein falscher Blinder in Uniform auf dich zukommen, der Ansichtskarten verkauft. Er wird dich erkennen. Du kaufst zehn Karten der gleichen Sorte. In der Tüte, die du erhältst, sind Pass und Papiere.«
»Max, wie soll ich dir danken?«
Max blickte zu Boden.
»Ich will keinen Dank. Alles Gute für dich, Carla. Und für Theo, wo immer er sein mag.«
Dienstag. Carla zog ihren Mantel über, setzte den Wollhut mit der Filzrose auf und ergriff ihre Handtasche. »Theo«, flüsterte sie, »Theo.«
Sie nahm die Tram Richtung Rathausplatz. Sie war viel zu früh aufgebrochen, stieg eine Station vorher aus, um den Rest des Weges zu Fuà zurückzulegen. Sie schritt so langsam wie möglich, betrachtete die Waren in den Schaufenstern, ohne sie wahrzunehmen. Sie spürte auch die Kälte nicht. Nur ein einziger Gedanke beherrschte sie.
Rathausplatz. Carlas Herz raste. Ein Blick zur Turmuhr. Noch 15 Minuten. Sie betrat das Kaffeehaus, setzte sich an einen Ecktisch am Fenster und bestellte Tee. Sie spähte aus dem Fenster. Fünf vor zwölf. Ein Soldat mit schwarzer Brille und Blindenstock, einen Bauchladen umgeschnallt, näherte sich, den Stab vor sich hin und her schwingend, dem Eingang. Er trat ein, tastete sich von Tisch zu Tisch. Nahm er sie wahr? Hatte er sie bemerkt? Er verkaufte eine Karte am Nachbartisch. Eine Minute vor zwölf. Er kam auf sie zu, blieb stehen.
»GruÃkarten gefällig?«
»Ja bitte, ich möchte welche.«
»Bitte, die Dame, wählen Sie.«
Sie blätterte in den Postkarten.
»Diese zehn hätte ich gern.«
Er zählte die Karten nach, steckte sie in eine bräunliche Papiertüte.
»Macht 50 Pfennige.«
Carla reichte ihm die Groschen und nahm die Tüte an sich.
»Vielen Dank.«
»Gern geschehen. Wünsche einen schönen Tag.«
Carla querte den Platz. Am liebsten hätte sie die Tüte sofort aufgerissen und nachgesehen. Sie beherrschte sich, umklammerte die Tasche. Jeder Passant erschien ihr verdächtig, in jedem Gesicht sah sie einen Dieb.
Sie stieg in die Bahn. Noch fünf Stationen, dann noch 100 Meter die StraÃe hinauf. Endlich. RosenstraÃe. Sie stieg aus, ging an dem Bäckerladen, dem Schlachter und dem Feinkostladen vorüber, zwang sich zu einem unauffälligen, gemächlichen Schritt. Sie betrat das Haus, hoffte, niemandem im Treppenhaus zu begegnen, stieg die Stufen empor. Guste öffnete die Wohnungstür.
»Ich hör dich gerade kommen, kannst du mir helfen, den Schrank umzustellen?«
»Nicht jetzt, ich komme nachher rüber.«
»Vergiss es nicht.«
»Nein, nein, ich komme bestimmt. Ich ruh mich nur kurz aus.«
»Wo warst du denn?«
»Nichts Besonderes, in der Stadt.«
»Komm doch rein. Ich mach uns Tee.«
»Nein, ich will die Beine hochlegen. Bis gleich, Guste.«
Guste verschwand in ihrer Wohnung.
Carla schloss die Tür auf, schlüpfte in den Flur, sperrte gleich hinter sich wieder ab. Mit flatterigen Händen zerrte sie die Tüte aus ihrer Tasche. Linkisch griff sie hinein, zog den Inhalt hervor. In ihrem Kopf rauschte und sang es. Sie schlug den Pass auf. Carla Meyer, ledig. Faltete die Bescheinigungen auf: geboren, ledig, gemeldet. Es war alles beisammen. Immer wieder blätterte sie die Papiere durch. Je länger sie sie betrachtete, desto stärker begann sie an ihre Echtheit zu glauben. Carla Meyer, hieà sie nicht schon immer Carla Meyer? Vergessen die Vergangenheit. Carla Zach, geborene Hufstädt, war gestorben. Theo, Theo. Wo bist du, Theo? Wo? Wo?, surrte es in ihrem Kopf.
Sie versteckte die Papiere unter der Matratze, eilte wieder hinaus und kaufte im Feinkostladen Wein und ein Stück Schinken.
»Na, Fräulein Meyer, gibt es was bei Ihnen zu feiern?«
»Ich will was im Haus haben, wenn Theo wiederkommt«, hörte sie sich sagen.
Frau Breimann
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