Palast der Schatten - historischer Kriminalroman
Theos Namen nicht zu lesen.
Sie nahm die StraÃenbahn, wählte einen Fensterplatz und stierte auf die hinunterströmenden Regentropfen auf der Scheibe. Immer wieder schwelte in ihr die gleiche Frage. Wozu dient der Krieg? Wozu das alles? Für einen Wahnsinn, für nichts. Die Männer waren mit wehenden Fahnen in den Krieg gezogen, ohne seinen Sinn zu hinterfragen. Und die Frauen? Sie brachen zusammen, wenn ihre Männer und Söhne fielen, aber sie jubelten, wenn eine Schlacht gewonnen war und die Ihren als lebende Sieger mit Orden daraus hervorgegangen waren. Manche machten Witze über die feigen Franzosen und die widerlichen Engländer und die verdreckten Russen.
Inzwischen blieb ihnen das Scherzen im Halse stecken. Es wurde stiller in den StraÃen. Die Stimmung drückte Carla bleiern aufs Gemüt. Die Kriegskrüppel vermehrten sich. Sie bettelten in den Restaurants und Cafés oder verkauften Tand. Oder sie sangen patriotische Lieder, um ein paar Pfennige zu erhalten. Einige von ihnen trugen noch immer die Frontuniform und hinkten mit ihrem Eisernen Kreuz auf der Brust umher.
Die Putz- und Konfektionsgeschäfte stellten in den Schaufenstern Trauerbekleidung aus, während die kleinen Jungen in ihren grauen Kinderuniformen auf den Höfen und Plätzen Schützengraben spielten. Fahnen und Extrablätter flatterten nicht mehr umher. Niemand wusste, wie es weiterging. Auch Carla nicht. Sie bangte um Theos Leben und das Kino machte Verluste.
Die Tramglocke läutete. Einige Frauen stiegen zu. Weiter ging die Fahrt.
Ein eisiger Wind zog durch die Fensterritzen. Nichts wusste sie von ihm, nicht, wo er kämpfte, nicht, wie es ihm ging. Nicht, ob er die Kiste mit der Wollweste und den Strümpfen erhalten hatte. Vielleicht hielt die Heeresleitung die Post absichtlich zurück. Immer wieder versuchte sie, den Gedanken, Theo könnte etwas zugestoÃen sein, zu verdrängen. Dennoch schwelten in ihr düstere Ahnungen.
Die Listen der Toten sprachen für sich. Sie sortierten sie nicht einmal mehr nach Truppenteilen. Im âºTagesblattâ¹ erschienen seitenweise Todesanzeigen. Name an Name. Kreuz an Kreuz. Manchmal sprangen die Kreuze eines nach dem anderen aus der Zeitung heraus, flogen auf sie zu, wurden immer gröÃer und gröÃer und schwärzten ihr Gesicht.
Sie stellte sich vor, wie Theo mit einer unbedeutenden Verletzung zu ihr zurückkehrte und sie ihn in die Arme schlieÃen könnte. Sie erschrak vor ihrer Fantasie. Wie verrückt war die Welt, dass sie Theo eine Verwundung wünschte?
Nur eine Zeile, Theo, nur ein Lebenszeichen. Ihre Gedanken überstürzten sich. Der Kampf in Frankreich war sehr blutig. Jeder Zentimeter Boden forderte viele Tote. Immer ältere Jahrgänge wurden einberufen. Auch an Helmen und Uniformen fehlte es. Die Polizisten trugen schon lang keine Pickelhauben mehr und ihre grauen Mäntel waren auch eingesammelt worden. Sie versank in dunkle Ãngste.
Warum bekam Theo keinen Urlaub? RegelmäÃig trafen Fronturlauberzüge ein. Andere Männer erhielten auch Urlaub. Erst neulich hatte sie in der Zeitung gelesen, Soldaten wäre für längeres, tapferes Ausharren im Schützengraben ein Erholungsurlaub von fünf bis sieben Tagen bewilligt worden. Konnte sie hoffen? Ging es Theo gut? Erhielt er deshalb keinen Urlaub? Oder lag es daran, dass er ledig war und keine Familie besaÃ? Ihr wurde schwarz vor Augen. Sie zog Theos Foto aus dem Portemonnaie und küsste es innig. Wo immer du auch bist, ich warte auf dich!
Fürs Vaterland
Theo stand im Graben. Nur sein Kopf und beide Arme, die das Gewehr hielten, schauten aus der Gruft heraus. Seine Beine steckten in der kotigen Schlammschicht. Er wusste nicht, wie lang er bereits in der Grube verharrte. Mehrere Tage und Nächte unter Beschuss. Wie viele? Er war hungrig und durstig. Hatte seit Tagen nichts zu essen bekommen. Die Einzigen, die satt wurden, waren die Ratten. Braune Ratten, weiÃe Ratten, schwarze Ratten. GroÃe Ratten! Sie nagten am Leichenfleisch der Toten, quiekten und nagten an den Verwesenden. Er schlug auf die Ratten ein, hörte ihr Hohngelächter. Helles, metallisches Lachen klirrte in seinen Ohren. Die Ratten sprangen in sein Gesicht. Blutige FüÃe, rote Schnauzen.
»Ich«, sagte eine Ratte, »nehme die fleischigen Partien.«
»Und ich sauge ihm das Blut aus den Adern.«
»Und ich lutsche ihm die Augen
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