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Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Titel: Palast der Schatten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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ohne Mehl, ohne Fett zubereiten konnte. Sie sollte Fleisch in Tüten braten, pah, Fleisch gab es schon lang nicht mehr. Nicht einmal Salz konnte man noch kaufen. Nur faulige Steckrüben.
    Der Hunger wurde immer unerträglicher. Ihr Magen knurrte in einem fort. Ihre Kehle fühlte sich an, als wäre sie mit einem Strick umwickelt. Sie trat von einem Bein aufs andere. Ihre Füße waren Eisklumpen. Sie fürchtete, wieder eine Blasenentzündung zu bekommen.
    Sie wartete. Ihre Füße stampften hin und her. Dumpf klangen die Stiefel im Schnee und ihre Armschläge auf dem Mantel. Atemfahnen rauchten in der weißgrauen Winterluft. Warten. Warten. Sie schlug die Fäustlinge aneinander. Dann bedeckte sie ihre Nase mit den Handschuhhänden. Wenn sie an der Reihe wäre, waren die Kartoffeln bestimmt aus. Klopfen, treten, reiben. Wenn es doch nicht so eisig kalt wäre.
    Plötzlich ertönte ein dumpfer Aufprall. Alle Frauen drehten sich um. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war ein klapperdürres Pferd zusammengebrochen. Ein letztes Schnauben dampfte in die Luft. Die Frauenreihe brach auseinander. Alle stürmten auf den Kadaver zu. Wer ein Messer besaß, zog es aus der Tasche. Auch aus den Häusern kamen Frauen gelaufen. Sie hatten große Küchenmesser in den Händen. Wie ein Schwarm von Aasgeiern strömten die Hungernden zu der blutig dampfenden Beute. Sie stachen und schnitten und hackten in das Pferdefleisch. Einige fingen das Blut in Näpfen und Tassen auf.
    Das Blut spritzte Carla über Gesicht und Kleidung. Sie schlug sich mit den anderen um die besten Brocken, schubste einige Frauen beiseite, schnitt Fleischstücke mit ihrem Taschenmesser heraus, presste sie eng an den Körper.
    Das Pferdeskelett lag abgenagt auf dem rot gefärbten Schnee. Die Menge schlich beschämt von dannen. Hunderte von Krähen kamen geflogen, setzten sich auf die Knochen, um letzte Fleischfetzen abzupicken. Carla hörte ihr gieriges Flattern und das ›Kra, Kra‹ hinter ihrem Rücken.

Der Heimkehrer
    Der Wärter gab Theo die Uniform zurück, mit der er eingeliefert worden war. Er kleidete sich um. Dann nahm er seinen Ausweis und seinen Abschiedsbrief entgegen, streifte den Kommissmantel über, steckte die Papiere zusammen mit dem Entlassungsschreiben in die Innentasche. Die eiserne Tür wurde aufgeschlossen. Der Assistenzarzt führte ihn zum Tor.
    Â»Finden Sie allein nach Hause?«
    Theo nickte.
    Â»Alles Gute, Herr Blum.«
    Theo gab ihm die Hand. Worte des Dankes verkümmerten in seiner Kehle.

    Er stand auf der Straße. Er war frei. Er lebte. Der Militärmantel hing schwer auf seinen knöchernen Schultern. Der Mantel, die Freiheit, das Leben lasteten bleiern auf ihm wie ein Kohlensack und in jeder Kohle glühten Bilder. Er sah zum Himmel auf. Ihn schwindelte, in seinem Kopf drehte sich alles, Gedankenkreisel, die an die Schädelknochen schlugen. Weiße Dämonen flogen auf ihn nieder. Sie schrien. Möwen, es waren nur hungrige Möwen, die durch das Wolkengrau glitten. Ein Lacher schüttelte ihn, verzitterte als Schnarren im Wind. Geh nach Hause, Theo Blum. Sein Gesicht verdüsterte sich. Er war tot. Tot. Theo Blum war tot. Er fror. Eiskalt das Herz, von frostigen Kristallen überzogen. Bei jedem Schritt klirrten sie. Wie lang war er fort gewesen? Wie lang in dieser weißen Folterkammer eingesperrt? Die verfluchten Schweine wollten ihn verhungern lassen. Nun war er frei. Geh heim, Theo. Er schlurfte die Straßen entlang wie durch eine fremde Welt, die in einen Schleier gehüllt war. Er fand sich nicht zurecht. Die Häuser, die Schaufenster, Geschäfte blitzten in schneller Folge vor seinen Augen auf, Automobile und Straßenbahnen, Menschen und Pferdefuhrwerke kreuzten einander. Er ging die lange Straße entlang. Seine Beine trugen ihn kaum, ihn und den Kohlenmantel auf seinem Buckel, den Soldatenmantel, in dem der Tod, seine Freiheit und sein Leben schwelten, unter dem der Hunger flatterte, den Mantel, der nur von gläsernen Beinen gehalten wurde, Beine, die in jedem Moment zersplittern konnten. Und wenn sie zersprangen, fiel er in den Trichter. Angstschweiß kroch aus ihm heraus, der seine Stirn vereiste. Die Straße schien aufzuklaffen und ihn zu verschlucken. Geh nach Haus, Theo Blum. Geh zu Carla. Carla, Carla. Wenn er es recht bedachte, glich sie einer elenden Ratte. Mit ihren runden, dunklen

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