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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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Kleid.
    Augusta strich sich eine widerspenstige kastanienbraune Strähne aus dem Gesicht und steckte sie in das Haarnetz in ihrem Nacken. Wie vorher räusperte sie sich vornehm und kaum hörbar.
    »Ich pflege eine Gefälligkeit immer zu erwidern. Und es war sehr nett von ihm, die Mühe auf sich zu nehmen, Sie heute zu uns zu bringen.«
    »Sie meinen Captain Harrison«, seufzte Roxane.
    »Natürlich. Der Captain ist ein großartiger Mann. Colonel Stanton berichtet nur Gutes über ihn und seine Arbeit. Er verdient unsere gebührende Dankbarkeit. Daher habe ich ihm eine Notiz geschickt …«
    »Eine Notiz?«, murmelte Roxane. Sie spürte ein Gefühl der Resignation in sich aufsteigen.
    »Eine Nachricht, einen kurzen Brief, meine Liebe. Ich habe das Schreiben zu Captain Harrisons Quartier bringen lassen und ihn eingeladen, in drei Tagen hier mit uns zu dinieren. Ich weiß, dass Sie sich noch von Ihrer Reise erholen müssen, aber wir werden keine große Sache daraus machen.«
    Roxanes erneutes Seufzen wurde von dem Kinderlachen, das plötzlich draußen erklang, übertönt. Einen flüchtigen Moment lang fragte sie sich, wessen Kind das wohl sein könnte. »Und er hat zugesagt?« Sie starrte auf ihr Glas und malte mit dem Daumen ein planloses Muster in die Feuchtigkeit, die sich dort niedergeschlagen hatte.
    »Ich habe seine Antwort noch nicht erhalten.«
    Roxane schwieg. Ihr gegenüber strampelte Unity mit den Beinen, die den Boden nicht ganz erreichten, um auf ihrem Stuhl nach hinten zu rutschen. Mit ihrem leicht verschmitzten Lächeln und dem Funkeln in ihren kobaltblauen Augen sah sie aus wie ein Kind, wie ein Kobold.
    »Oh«, rief sie und verschränkte die Hände in ihrem Schoß, so als wolle sie eine unwillkürliche Bewegung vermeiden. »Er wird kommen. Wenn es irgendwelche Garantien im Leben gibt, Roxane, so ist das eine davon.«
    Roxane betrachtete nüchtern die fröhliche Miene des Mädchens. Liebeskummer könnte eine weitere sein, dachte sie, behielt das aber für sich.

3
    Captain Harrison ließ den Blick über das schattige Gelände unter dem Abendhimmel schweifen. Die untergehende Sonne tauchte den Himmel in ein flammendes Violett und Rosenrot. Darüber lag ein sanfter aprikosenfarbener Schleier – Indiens immer gegenwärtiger Staub. Hier war Gottes Hand am Werk, wie Jahar sagen würde, Allahs Meisterstück.
    Als Collier mit langen, festen Schritten weiterging, beobachtete er, wie die verschiedenen Farbtöne ineinanderflossen, während die Sonne mit einem letzten goldfarbenen Aufflackern verschwand und der Nachthimmel sich wie eine Kuppel über die Welt des Ostens legte – wie ein Tintenguss, der am Horizont auf eine grüne Flasche mit einer Flamme in der Mitte traf.
    So sehen ihre Augen aus, dachte er, eine seltsam klare Farbe, gesprenkelt mit flammendem Gold.
    »Du denkst an sie«, stellte Sikh an seiner Seite fest. Ein amüsiertes Funkeln erschien in seinen wilden Augen. »An diese Frau.«
    Collier lächelte gezwungen. »An welche Frau?«
    »Gibt es noch eine?«, fragte Jahar. »Du sagst unsere Verabredung in der Stadt ab, in der Hoffnung, ein paar Worte mit ihr wechseln zu können.«
    »Ich folge lediglich einer Einladung. Es wäre unhöflich, würde ich …«
    »Du hast dich schon öfter unhöflich verhalten.«
    »Die Anwesenheit von Miss Sheffield ist natürlich ein zusätzlicher Anreiz …« – »Die Anwesenheit der Lady ist der einzige Grund für dich, dorthin zu gehen.«
    »Macht es dich nicht krank, immer recht zu behalten?«
    Jahar lachte, und seine weißen Zähne blitzten in der Dunkelheit. Hinter ihm flatterten, wie auf Befehl des Mondes, Geisterschwingen gleich große Nachtfalter aus den Bäumen. In der Ferne heulte ein Schakal.
    »Sei vorsichtig, Harrison«, meinte Jahar. Er sprach Englisch und betonte den Namen des Captains mit einem sanften Zischlaut. »Du selbst warnst immer vor Hast, und das ist ein guter Rat.«
    Collier runzelte die Stirn, wirkte aber nicht verärgert. Er fuhr sich mit den Fingern durch das kohlschwarze Haar. »Jahar, ich bin kein Narr«, sagte er zu dem Mann, der im Schatten neben ihm herging. »Das hoffe ich zumindest. Bleibt es bei unserer Verabredung im Basar? Gut, dann sehen wir uns später.«
    Jahar nickte wortlos und verschwand in den farblosen Schatten des Zwielichts. Collier sah ihm nach und dachte an einen anderen Abend vor langer Zeit, als er und der Sikh trotz der Unterschiede in Religion und Stellung die Art gemeinsamen Interesses entdeckten, die die

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