Palast der Suende - Roman
zur Verfügung. Die italienische Bürokratie muß die wirkungsvollste in der ganzen Welt sein, dachte Claire wütend. Ihre Geduld und ihre italienischen Sprachkenntnisse stießen bald an ihre Grenzen.
Nun, wenn öffentliche Gebäude nicht zu haben waren, mußte sie ein privates finden, beschloß sie. Aber wo sollte sie mit der Suche beginnen?
Was sie brauchte, war die Hilfe eines Menschen, der sich in der Stadt gut auskannte. Jemand, der fließend italienisch sprach und Verbindungen in der Stadt hatte. Sie runzelte die Stirn und warf sich zu einer schöpferischen Pause aufs Bett. Sie wollte nicht an den Mann denken, der ihr zuerst einfiel.
Eine Stunde später schluckte sie ihren Stolz und griff wieder zum Telefon.
»Ich war sehr überrascht, noch einmal von dir zu hören. Sehr überrascht«, sagte Stuart.
»Ich weiß. Ich glaube, ich habe gestern abend überreagiert.« Claire fuhr glättend über ihr Kleid und langte nach einem Plätzchen auf dem Porzellanteller. In einem Versuch, das Treffen auf einer geschäftlichen Ebene zu halten, hatte sie sich absichtlich formell gekleidet; sie trug einen Rock, der bis zu den Waden reichte und eine Seidenbluse. Auch Stuart trug einen Geschäftsanzug, ein dunkelgrauer Versace, dazu ein weißes Hemd und eine dezente Krawatte. Man sah ihm an, daß er es gewöhnt war, teure Sachen zu tragen, er bewegte sich lässig, und Claire fand es anstrengend, ihn nicht anzustarren.
Trotz der Spannung zwischen ihnen – oder vielleicht gerade deshalb – fand sie ihn attraktiver denn je. Mit seinen dunklen, exotischen Gesichtszügen und dem schlanken Körper erinnerte er sie an eine Raubkatze, an einen Leopard oder einen Panther.
Um sich abzulenken, schaute sie sich um. Sie saßen auf einem großen überdachten Balkon, den nach vorn und zu den Seiten eine halbhohe Brüstungsmauer begrenzte, deren Putz wie Zuckerguß aussah.
»Ich hatte keine Ahnung, daß dein Freund Vittorio in einem Palast lebt«, sagte sie, um die Unterhaltung auf ein neutrales Thema zu bringen. »Aber eigentlich hätte ich es mir denken können, als ich das Motorboot gesehen habe.«
Stuart hob die Schultern. »Das ist nur eines seiner Häuser. Er besitzt auch eine Wohnung in Mayfair.«
Sie schaute neidvoll auf die Diwane, auf denen sie saßen, und auf den Perserläufer, der auf den Fliesen lag. »Es muß ihn ein Vermögen kosten, sie alle einzurichten.«
»Ja, stimmt. Und dann trete ich in Aktion. Antiquitäten sind mein Geschäft. Ich finde sie für Vittorio.« Stuart erhob sich. »Wenn du deinen Kaffee getrunken hast, führe ich dich herum. Wir beginnen im Ballsaal. Das ist das größte Zimmer und wahrscheinlich für deinen Fototermin am besten geeignet.«
Claire folgte ihm und bemerkte, daß er eine Distanz zwischen ihnen hielt. Bisher hatte er während ihrer Unterhaltung kaum eine Miene verzogen. Sie erinnerte sich, wie heiter er gestern abend gewesen war und wie leicht ihm ein Lächeln gefallen war, und jetzt bedauerte sie, daß sie sich nach dem Intermezzo in der Loge so spröde verhalten hatte.
Sie gingen einen langen Korridor entlang, dann eine breite, geschwungene Treppe hinunter, und Stuart war stets drei, vier Stufen vor ihr, als wäre er tatsächlich nur der Führer. Am Fuß der Treppe öffnete er eine massive Doppeltür. Claire folgte ihm in den Ballsaal. Ihre hohen Absätze klackten auf dem Parkett. Stuart öffnete die Fensterläden, und das Licht strömte durch die hohen Fenster.
»Vittorio läßt diesen Raum lieber im Dunkel – wegen der Decke.«
Claire schaute hoch und hielt die Luft an. Ein Gedränge aus Haut, Wasser und Blattwerk schien sich auf sie stürzen zu wollen und ließ sie auf der Stelle verharren. Sie begann erst wieder zu atmen, als sie den Wirrwarr als Waldszene erkannte.
Diana war leicht auszumachen; sie hatte den Köcher mit Pfeilen und den Bogen abgelegt und stand gebückt im Waldteich, nackt, die Brustwarzen steif und die Haut gerötet vom kühlen Wasser. Sie wurde umringt von kichernden Nymphen.
Im Vordergrund stand Acteon, mitten in der Verwandlung vom Mann zum Hirsch, und auf seinem Gesicht unter dem sprießenden Gehörn stand das pure Entsetzen. Claire bedauerte ihn. Er war hart bestraft dafür, daß er die Göttin der Jagd bei ihrem Bad gestört hatte.
Die Qualität des Gemäldes war so unübersehbar, daß für Claire feststand, es mußte einer der Großen gemalt haben, vielleicht sogar Tizian selbst. Obwohl die Patina der Farben zu erkennen war, strahlten sie
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