Palazzo der Liebe
auch über die Miniatur geschwiegen habe. Außerdem kenne ich den Rest der Geschichte auch erst seit dem letzten Wochenende, seit ich die Tagebücher meiner Tante gelesen und mich anschließend mit Rosa unterhalten habe.“
Er schaute in Sophias entrüstetes Gesicht und lächelte. „Du kannst mir ruhig glauben, dass es nicht zu meinen Gewohnheiten gehört, in fremden Tagebüchern herumzustöbern. Aber diese hat Fran mir ausdrücklich mit der Auflage hinterlassen, sie zu lesen.“
„Aber würde sie auch wollen, dass ich weiß, was drinnen steht?“, fragte Sophia unbehaglich. „Ja.“ Sein Tonfall ließ keinen Zweifel zu. „Soll ich fortfahren?“
„Bitte.“
„Am Tag jenes Maskenballs betrank Paolo sich sinnlos und schleuderte Fran entgegen, warum er sie wirklich geheiratet hatte. Abgesehen davon, dass sein eigenes Vermögen längst verprasst war, wollte er die Verantwortung für seine verwöhnte und exzentrische Tochter Gina einfach nicht allein tragen.“
Sophia warf Stephen einen schnellen Blick zu. Er sagte das in einem so neutralen Ton, als störten ihn die wenig schmeichelhaften Charaktereigenschaften der Marchesa überhaupt nicht.
Vielleicht war er ja der Typ Mann, der von einer Frau gleichzeitig angebetet und herausgefordert werden wollte, um sich als ihr edler Ritter und Beschützer fühlen zu können.
„Dazu musst du wissen, dass dein Vater sich, obwohl er Maria aufrichtig ergeben war, auf den ersten Blick hoffnungslos in Fran verliebte, und sie sich in ihn.“
Aufmerksam beobachtete Stephen Sophias Mienenspiel.
„ Mein Vater und deine Tante waren ineinander verliebt“, wiederholte sie nach einer langen Pause.
„Ja. Möglicherweise ahnte Paolo etwas und fühlte sich hintergangen, weil er versuchte, das Porträt zu zerstören, das dein Vater von seiner Ehefrau gemalt hatte. Kurz darauf kam es zum offiziellen Bruch zwischen Paolo und Fran, woraufhin er und Gina aus dem Palazzo auszogen. Als dein Vater davon hörte, bekniete er Fran, sich scheiden zu lassen und ihn zu heiraten. Obwohl Marias Eltern bereits alle Arrangements für die Hochzeit ihrer einzigen Tochter getroffen hatten und dieses Fest das gesellschaftliche Ereignis des Jahres werden sollte, wollte dein Vater seiner Braut und ihren Eltern die Wahrheit gestehen und alles absagen.“
Sophia hielt vor Spannung den Atem an.
„Doch so sehr sie ihn auch liebte, ertrug Fran den Gedanken nicht, das Lebensglück ihrer besten Freundin zu zerstören. Sie teilte deinem Vater mit, dass sie ihn immer lieben werde und er, wenn er sie aufrichtig liebe, sein Versprechen gegenüber Maria einhalten und sie heiraten müsse. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als sich geschlagen zu geben und auf sein Glück zu verzichten. Kurz darauf gaben Maria und er sich in Rom das Jawort. Was aber weder Fran noch er zu diesem Zeitpunkt wussten, war, dass sie bereits ein Kind von ihm erwartete.“
Stephen machte eine Pause und räusperte sich, bevor er fortfuhr.
„Sobald die Schwangerschaft offensichtlich wurde, verließ Fran den Palazzo nicht mehr, und außer Rosa und Roberto wussten nur dein Vater und Maria, dass sie ein Kind bekam. Während dein Vater die Wahrheit kannte, glaubte Maria jedoch, das Baby wäre von Paolo. Drei Monate nach ihrer Hochzeit wurde auch Maria schwanger, was sie überglücklich machte. Tragischerweise erlitt sie im vierten Monat eine Fehlgeburt. Da ihr Herz durch die Rheumaschübe in ihrer Jugend sehr geschwächt war, warnte ihr Arzt sie eindringlich vor einer erneuten Schwangerschaft, bei der sie möglicherweise das Leben verlöre.“
Sophia presste eine Hand vor den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken.
„Fran geriet außer sich vor Sorge um ihre beste Freundin und den geliebten Mann. Und da ihre Schuldgefühle sie fast umbrachten, schlug sie den beiden vor, ihr Baby nach der Geburt zu adoptieren und als ihr eigenes Kind aufzuziehen. Sie stellte nur zwei Bedingungen: Erstens durfte niemand, vor allem Paolo, wissen, dass sie einem Kind das Leben geschenkt hatte, zweitens verlangte sie, dass dieses Kind nie von seiner Adoption erfahren solle. Alles wurde anwaltlich festgelegt, und dann warteten sie nur noch darauf, dass das Baby das Licht der Welt erblickte …“
„Und?“
Stephen schaute Sophia fest in die Augen. „Am sechsten März, ihrem eigenen Geburtstag, brachte Fran eine gesunde kleine Tochter zur Welt.“
„Aber der sechste März ist auch mein Geburtstag“, sagte Sophia heiser.
„Ja“, bestätigte
Weitere Kostenlose Bücher