Pamuk, Orhan
Charaktere betrachtet,
wird gleich allen Padischahs nicht unser herrliches Werk, sondern sich selbst
auf dem Bild bewundern, und wenn er sich dann noch die Zeit nimmt, einen Blick
auf unsere Wunder zu werfen, die wir mit unendlich viel Mühsal, Anstrengung,
Eifer, inspiriert vom Osten wie vom Westen, geschaffen haben, wie dankbar
müssen wir sein! Aber auch du weißt, er wird, falls nicht ein Wunder geschieht,
niemals fragen, wer diesen Rahmen gezogen, wer ornamentiert, wer diesen Mann und
das Pferd gemalt hat, und wird das Buch in seiner Schatzkammer einschließen.
Doch wie alle, die Talent besitzen, illustrieren wir immer weiter in der
Hoffnung, daß dieses Wunder eines Tages geschehen wird.«
Wir
schwiegen ein Weilchen, als wäre es eine Geduldsübung.
»Wann wird dieses Wunder geschehen?«
wollte er wissen. »Wann wird man die vielen Bilder, die wir bis zum Blindwerden
malen, wirklich begreifen? Wann werden sie uns die Liebe zuteil werden
lassen, die ich verdient habe, die wir verdient haben?«
»Niemals.«
»Wieso das?«
»Sie werden dir niemals geben, was
du verlangst«, sagte ich. »Und in Zukunft wird man dich noch weniger
verstehen.«
»Bücher bleiben für Jahrhunderte
erhalten«, brachte er hochmütig, doch ohne rechtes Selbstvertrauen hervor.
»Keiner der großen italienischen
Meister verfügt über deine Poesie, deine Hingabe und deine Empfindsamkeit,
über die Reinheit und die Leuchtkraft deiner Farben, glaube mir. Aber ihre
Bilder sind überzeugender, sind dem Leben ähnlicher. Sie malen die Welt nicht
ohne Rücksicht auf das, was sie Perspektive nennen, wie vom Umgang eines
Minaretts aus, sondern von der Straßenebene aus gesehen, oder auch als Blick
in das Gemach eines Prinzen, mitsamt seinem Bett und der Decke, seinem Tisch
und Spiegel, seinem Tiger, seiner Tochter und seinem Geld – sie bilden alles
ab, wie du weißt. Nicht alles überzeugt mich, was sie tun, ich empfinde den
Versuch, die Welt im Bild nachzustellen, wie sie ist, unwürdig und beleidigend.
Doch welch eine Anziehungskraft besitzen die nach jenem Verfahren gemalten
Bilder! Alles, was das Auge sieht, malen sie so, wie es das Auge sieht. Sie
malen, was sie sehen, wir aber, was wir anschauen. Du begreifst sofort beim
Anblick ihrer Werke, daß die Methoden der fränkischen Meister der Weg sind,
dein Gesicht bis zum Jüngsten Tag zu erhalten. Der Anreiz ist so stark, daß
sich jeder auf diese Weise malen läßt, nicht nur in Venedig, sondern sämtliche
Schneider, Fleischer, Soldaten, Pfaffen, Krämer in allen fränkischen Ländern.
Denn wenn du jene Bilder einmal erblickst, möchtest auch du dich selbst so
sehen und glauben, anders als jeder, unvergleichlich, ein besonderes und
seltsames Wesen zu sein. Diese Möglichkeit schafft das neue Verfahren, das den
Menschen so malt, wie das Auge ihn sieht, und nicht, wie der Verstand ihn
erblickt. Eines Tages in der Zukunft wird jeder so malen wie sie. Alle Welt
wird unter dem Begriff Bild das verstehen, was sie geschaffen haben! Selbst
der arme, dumme Schneider hier, der nichts von der Malerei versteht, wird sich
ein solches Bild wünschen, damit er beim Betrachten der Krümmung seiner Nase
daran glauben kann, nicht ein ganz gewöhnlicher Dummkopf, sondern eine
besondere, unvergleichliche Persönlichkeit zu sein.«
»Na bitte, dann werden auch wir so
ein Bild machen«, meinte der witzige Mörder.
»Das tun wir nicht«, sagte ich. »Hat
dir der selige Fein Efendi, den du getötet hast, nicht beigebracht, wie sehr
sie sich fürchten, die Franken zu imitieren? Und auch wenn sie sich nicht
fürchten und es ausprobieren, kommt es aufs gleiche hinaus. Am Ende werden
unsere Methoden aussterben, unsere Farben verblassen. Niemand mehr wird unseren
Büchern und Bildern Beachtung schenken. Und die es tun, werden entweder nichts
davon begreifen, den Mund verziehen und fragen: Warum gibt es keine
Perspektive?, oder sie werden überhaupt keine Bücher mehr vorfinden können.
Denn mit der Gleichgültigkeit werden unsere Bilder allmählich der Zeit und den
Katastrophen zum Opfer fallen. Da der arabische Kleister der Einbände Fisch,
Knochen und Honig enthält und die Seiten mit Ei und Stärke gefertigt und mit
Stärkeglanz überzogen sind, werden die gierigen, schamlosen Ratten sie mit
großem Appetit verschlingen; weiße Ameisen, Würmer und tausend Käferarten
werden unsere Bücher anknabbern, zernagen und vernichten. Die Bände werden
zerstückelt, die Seiten herausgerissen; Diebe, gefühllose
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