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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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nicht
vorhanden, und begann plötzlich zu zweifeln. Doch ich hatte auf den
Schlachtfeldern den Geruch der Leichen, deren Kleider zerfetzt, deren Schuhe,
Stiefel, Gürtel geraubt, deren Gesichter, Augen, Lippen den Wölfen und Vögeln
zum Fraß geworden und die der Sonne ausgesetzt waren, so erstickend in meinem
Mund, meinem Gaumen und meinen Lungen gespürt, daß ich sicher war, mich nicht
zu irren.
    In der Küche unten fragte ich
Hayriye, wo der Oheim Efendi sei, warum das ganze Haus so rieche, und sagte,
alles werde herauskommen. Ich sagte es nicht, murmelte es nur vor mich hin.
Dabei ging mir durch den Kopf, daß ich zum erstenmal wie Hayriyes Herr gesprochen
hatte.
    »Wir haben ihn, wie von Euch
befohlen, in sein Bett gelegt, ihm ein Nachthemd übergezogen, ihn mit der
Steppdecke zugedeckt und Gläser mit Heilsirup neben ihm aufgestellt. Wenn er
riecht, dann ist das von der Wärme des Kohlenbeckens im Zimmer«, erklärte die
Frau weinend.
    Einige Tränen tropften zischend in
den Topf mit dem brutzelnden Hammelfleisch. Zuerst spürte ich aus ihrem Weinen
heraus, daß der Oheim Efendi sie nachts zu sich ins Bett genommen hatte, doch
dann schämte ich mich dieses Gedankens. Ester, die stolz und stumm in einer
Ecke der Küche saß, schluckte etwas herunter, das sie gekaut hatte, und stand
auf.
    »Mach die Şeküre glücklich«,
sagte sie. »Wisse ihren Wert zu schätzen!«
    Ich hörte in meinem Innern jene Töne
der Ud, die ich am ersten Tag meiner Rückkehr nach Istanbul vernommen hatte,
während ich durch die Straßen ging, doch ihre Harmonien enthielten mehr Leben
als Trauer. Auch als der Imam EfendiŞeküre und mich im Zwielicht jenes
Zimmers traute, in dem mein ins Nachthemd gehüllter Oheim lag, erfüllte mich
die Harmonie dieser Melodien.
    Weil Hayriye das Zimmer rasch
gelüftet und die Lampe so in eine Zimmerecke gestellt hatte, daß sie nur einen
schwachen Schein gab, bemerkte man nicht, daß der Mann in seinem Nachtkleid
nicht krank, sondern tot war. Mein Freund, der Barbier, und ein alter Alleswisser
aus dem Viertel wurden unsere Zeugen. Als ein anderer neunmalkluger Greis
während der Zeremonie, die nach den Segenswünschen und guten Ratschlägen des
Imams mit den gemeinsamen Gebeten der Anwesenden endete, sich um die
Gesundheit des Oheims zu sorgen schien und ihm seinen Kopf entgegenstreckte,
sprang ich auf von meinem Platz, sowie der Imam die Ehe geschlossen hatte,
ergriff die steif gewordene Hand meines Oheims und rief laut: »Habt keine
Furcht, mein geliebter Oheim, ich werde alles tun, um Şeküre und ihren
Kindern ein sorgenfreies Leben in Frieden und Liebe zu bieten.«
    Dann tat ich so, als versuche der
Oheim, mir von den Kissen seines Krankenbettes her etwas zuzuflüstern, und
hielt mein Ohr ehrerbietig und aufmerksam an seinen Mund. So wie wir Jüngeren
einem verehrten Greis, dem wir zur günstigsten Stunde begegnet sind, aufmerksam
und respektvoll lauschen, wenn er als Quintessenz eines ganzen Lebens einige
Lehren erteilt, tat ich, als wäre ich ganz Auge und Ohr für das, was mir der
Oheim mitteilen wollte. Die Blicke des Imam Efendi und des alten Nachbarn
sagten mir, daß sie die Treue und Anhänglichkeit, mit der ich mir die geflüsterten
Ratschläge meines Schwiegervaters auf dem Sterbebett anhörte, billigten und zu
würdigen wußten. Nun hoffe ich, daß niemand mehr vermutet, ich hätte etwas mit
dem Mord an meinem Oheim zu tun.
    Ich sagte den Hochzeitsgästen im
Zimmer, der arme Kranke wolle allein sein. Sie verließen sofort den Raum, und
während sie ins Nebenzimmer gingen, wo die Männer zusammenkamen, um sich an
Hayriyes Pilaw und Lammbraten gütlich zu tun (jetzt bring auch ich bereits den
Leichengeruch mit dem Duft von Thymian, Kümmel und gebratenem Lamm
durcheinander), ging ich auf den Flur hinaus, öffnete zerstreut wie ein Mann,
der im eigenen Haus benommen und grambeschwert herumläuft, die Tür zu Hayriyes
Zimmer, trat ebenso zerstreut ein, achtete nicht auf die Frauen, die über das
Eindringen eines Mannes entsetzt waren, schaute liebevoll zu Şeküre
hinüber, deren Augen bei meinem Anblick vor Glück strahlten, und sagte: »Dein
Vater läßt dich rufen, Şeküre, wir sind getraut worden, du sollst seine
Hand küssen.«
    Um die öffentliche Bekanntmachung
ihrer Hochzeit zu sichern, hatte Şeküre im letzten Augenblick einige
Frauen aus der Nachbarschaft und, ihren anhänglichen Blicken nach zu urteilen,
ein paar mit ihr verwandte junge Mädchen herbeigerufen, die sich jetzt

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