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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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nicht wahr, Mutter?« fragte Şevket.
    »Ich werde nicht aufstehen.«
    Und ich hatte auch wirklich nicht
die Absicht, es zu tun. Als dann auch Şevket schlief, kam mir der Gedanke,
welch ein Glück es eigentlich war, in der Nacht meiner zweiten Hochzeit mit
meinen Kindern dicht bei mir einzuschlafen – noch dazu mit einem stattlichen,
klugen Ehemann gleich nebenan, der mich begehrte. Mit diesen Gedanken verfiel
ich in einen unruhigen Schlaf. Wie ich mich später erinnern sollte, rechnete
ich in dem spukhaften, friedlosen Reich zwischen Traum und Wachen zuerst mit
dem zornigen Geist meines Vaters ab und versuchte dann, dem Phantom des elen
den Mörders zu entkommen, der auch mich diesem Geist hinterherschicken wollte,
doch der Mörder, der noch schrecklicher war als Vaters Geist und mich immer
weiter verfolgte, machte laute Geräusche. Er warf in meinem Traum Steine auf
unser Haus. Das Fenster, das Dach wurden getroffen. Dann bewarf er auch das
Tor mit Steinen, ja mir schien, als versuche er, es gewaltsam zu öffnen. Als
dieser böse Geist dann auch noch Jammerlaute wie das Heulen oder Stöhnen eines
mir gänzlich unbekannten Tieres hervorbrachte, begann mein Herz wie rasend zu
schlagen.
    Ich erwachte schweißgebadet. Hatte
ich diese seltsamen Laute in meinem Traum gehört, oder kamen sie tatsächlich
aus dem Innern des Hauses, so daß ich davon wach geworden war? Da mir dies
nicht klarwerden wollte, kuschelte ich mich an meine Kinder und wartete ab,
ohne mich zu rühren. Gerade als ich mir einbildete, die Laute im Schlaf gehört
zu haben, hörte ich das gleiche Stöhnen von neuem. Und im selben Augenblick
fiel irgend etwas mit großem Lärm in den Hof. War das auch ein Stein?
    Ich war vor Entsetzen wie gelähmt.
Doch gleich darauf geschah noch Schlimmeres: Ich hörte Geräusche im Haus. Wo
war Hayriye, in welchem Zimmer schlief Kara, was war mit der Leiche meines
armen Vaters? Allah, beschütze uns! Die Kinder schliefen tief und fest.
    Vor der Hochzeit wäre ich
aufgestanden und hätte versucht, als Herr im Haus meine Furcht zu besiegen, die
Lage zu meistern und Dämonen und Geistern die Stirn zu bieten. Jetzt aber lag
ich nur ängstlich lauernd da und hielt die Kinder umarmt. Die ganze Welt schien
leer zu sein, niemand .würde mir und den Kindern zu Hilfe kommen. Ich wartete
auf ein Schrecknis und betete. Und wie in meinem Traum war ich ganz allein. Das
Hoftor wurde geöffnet. Oder war es nicht das Tor zum Hof? Doch, ja.
    Dann sprang ich plötzlich ohne
nachzudenken auf, warf mein Mantelkleid über und rannte hinaus.
    »Kara!« flüsterte ich oben an der
Treppe.
    Ich schlüpfte in irgendwelche Schuhe
und lief hinunter. Die Kerze, die ich rasch am Kohlenbecken entzündet hatte,
verlöschte, sowie ich die Steinfliesen im Hof betrat. Ein scharfer Wind war aufgekommen,
doch der Himmel war klar, und als sich mein Auge an die Dunkelheit gewöhnt
hatte, sah ich, daß der halbe Mond den Hof recht gut erhellte. Allahim! Das
Hoftor stand offen. Zitternd blieb ich wie angewurzelt in der Kälte stehen.
    Warum hatte ich kein Messer
mitgenommen? Nicht einmal einen Leuchter, ein Stück Holz hielt ich in der Hand.
Auf einmal sah ich, wie sich das Tor in der Dunkelheit von selbst bewegte, doch
das Quietschen schien mir erst viel später ans Ohr zu dringen, nachdem es
bereits verstummt war. Ich erinnere mich, daß ich mir einredete, alles sei nur
ein Traum.
    Als ein Geräusch aus dem Haus drang,
als käme es unter dem Dach hervor, wurde mir bewußt, wie schwer sich die Seele
meines armen Väterchens tat, den Körper zu verlassen. Es bereitete mir zwar
großen Kummer, die Qual von Vaters Seele wahrzunehmen, doch ich war auch
erleichtert. Wenn mein Vater die Ursache all dieser Geräusche ist, sagte ich
zu mir, dann habe ich keine Gefahr zu befürchten. Andererseits bedrückte mich
das Leiden der Seele, die sich quälte, den Körper rasch zu verlassen und allein
aufzuschweben, so daß ich Allah um Hilfe für mein armes Väterchen anflehte.
Und der Gedanke, Vaters Seele würde nicht nur mich, sondern auch die Kinder
beschützen, war Balsam für mein Herz. Falls da draußen vor dem Hoftor ein
wütender Dämon Böses im Schilde führte, dann sollte er sich vor der ruhelosen
Seele meines Vaters fürchten.
    In diesem Augenblick beschlich mich
die Sorge, der Gegenstand von Vaters Unruhe könnte Kara sein. Hatte mein Vater
vor, Kara Böses zu tun? Wo war Kara? Doch da entdeckte ich ihn draußen vor dem
Hoftor und blieb stehen. Er redete mit

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