Pamuk, Orhan
in kindlicher Einfalt keine Zweifel hegte,
daß meine Liebe erwidert würde, überstieg mein Lebensmut jedes Maß, und ich
meinte, die ganze Welt sei voller Hoffnungsfreude und ein guter Ort. Ich liebte
die Bücher mit jenem Lebensmut, liebte die Dinge, die mir der Oheim damals zu
lesen auftrug, liebte das, was man in der Medrese lehrte, und das Ausschmücken
und Malen. Wie ich die erste und reichste, sonnen- und freudeerfüllte Hälfte
meiner Werdejahre der Liebe verdankte, die ich für Şeküre empfand, so verdanke ich auch meine
dunklen Erfahrungen, die mir die Zeit danach vergällten, der Zurückweisung:
Nächte wie Eis, der Wunsch, in den Räumen der Herbergen mit dem Verlöschen des
Kaminfeuers zu vergehen, der mich nach einer Liebesumarmung so häufig
heimsuchende Traum, mit der Frau an meiner Seite in einen bodenlosen Abgrund zu
stürzen, und die Vorstellung, ein »ganz und gar wertloser Kerl« zu sein, waren
mir als Erbe von Şeküre geblieben.
Lange danach sagte der Oheim:
»Wußtest du, daß sich unsere Seelen nach dem Tod mit den Seelen derer treffen
können, die auf dieser Welt friedlich in ihren Betten schlafen?«
»Das wußte ich nicht.«
»Es gibt eine lange Reise nach dem
Tod, deshalb fürchte ich das Sterben nicht. Wovor ich mich fürchte, ist, zu
sterben, ohne das Buch unseres Padischahs vollenden zu können.«
Während mir ein Teil meines
Verstandes sagte, ich sei stärker, vernünftiger und gefestigter als der Oheim,
beschäftigte sich der andere Teil mit dem teuren Erwerb meines Kaftans vor dem
Besuch bei diesem Mann, der mir vor zwölf Jahren die Hand seiner Tochter
verweigert hatte, mit dem silberbeschlagenen Geschirr und dem schmuckvollen
Sattelzeug meines Pferdes, das ich jetzt gleich über die Treppe hinab im Stall
erreichen, hinausführen und besteigen würde.
Er würde alles, was ich von den
Buchmalern herausbekäme, von mir erfahren, sagte ich, küßte seine Hand, stieg
die Treppe hinunter, betrat den Hof und gewahrte die Schneekälte, doch ich
erinnerte mich daran, daß ich weder ein Kind noch ein alter Mann war; ich
spürte voller Freude die Welt auf meiner Haut. Es gab einen Windstoß, als ich
die Stalltür schloß. Mein weißes Pferd erschauerte mit mir, während ich es an
der Kandare hielt und über den steingepflasterten Vorplatz in den Hof führte.
Seine stark geäderten, kräftigen Beine, seine Ungeduld, seine kaum bezähmbare
Kraft – all das kannte ich an mir selbst. Sobald ich hinaustrat auf die Straße
und mich auf mein Pferd schwingen wollte, um mich einem märchenhaften Reiter
gleich auf Nimmerwiederkehr in den engen Gassen zu verlieren, kam wer weiß
woher eine riesige Frauensperson, eine Jüdin, ganz in Rosa gekleidet, mit
ihrem Bündel in der Hand auf mich zu. Sie war so groß und breit wie ein
Schrank, ihre Bewegungen aber waren lebhaft, ja sogar anmutig.
»Mein Held, mein Junge, du bist
wahrhaftig so ansehnlich, wie die Leute sagen«, rief sie. »Bist du verheiratet,
bis du ledig, kaufst du für deine heimliche Geliebte ein seidenes Taschentuch
von Ester, der meistgefragten Hausiererin von Istanbul?«
»Nein.«
»Eine karmesinrote Schärpe aus
Atlas?«
»Nein.«
»Nein, nein, sag das nicht! Ein Held
wie du, sollte der nicht eine Verlobte, eine heimliche Geliebte haben? Wer
weiß, wie viele Mädchen sich mit tränenfeuchtem Auge brennend nach dir
sehnen?«
Plötzlich streckte sie ihren Körper
wie ein feingliedriger Akrobat und näherte sich mir auf eine verblüffend
gewandte Weise. Im gleichen Augenblick erschien wie bei einem Zaubertrick aus
dem Nichts heraus ein Brief in ihrer Hand. Ich griff im Nu danach und ließ ihn
behende in meiner Schärpe verschwinden, als hätte ich das jahrelang für diesen
Augenblick geübt. Es war ein umfangreicher Brief, und ich fühlte ihn auf meiner
eiskalten Haut schon jetzt wie Feuer brennen.
»Steig auf dein Pferd, führ es im
Paßgang«, sagte Ester, die Hausiererin. »Bieg an dieser Mauer in die rechte
Straße ein, reite voran, ohne dich beirren zu lassen, doch wende den Kopf beim
Granatapfelbaum und schaue hin zu dem Haus, aus dem du kamst, zum Fenster
drüben.«
Sie ging weiter und war sofort
verschwunden. Ich bestieg das Pferd, doch so linkisch, als täte ich's zum
erstenmal in meinem Leben. Mein Herz schlug rasend, mein Verstand geriet in
Panik, meine Hände wußten nicht, wie sie die Zügel halten sollten, doch als ich
meine Beine fest um den Leib des Pferdes schloß, ging das kluge Tier, das einen
gesunden
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