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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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auf
Hasan zu stoßen. Manchmal fanden wir unseren Weg durch die pechschwarze
Finsternis, in der man die Hand nicht vor Augen sah, nur indem wir
gegeneinander oder gegen die Wände stießen. Wir meinten, Gespenster, Dämonen
und Teufel aus dem Untergrund könnten uns in der Finsternis ergreifen und
entführen, und hielten uns aneinander fest. Gleich hinter den Mauern, an denen
wir uns mit den Händen entlangtasteten, und hinter den geschlossenen
Fensterläden hörten wir in der kalten Nacht die Schläfer schnarchen und
husten, und aus den Ställen kam das Stöhnen der Tiere.
    Obwohl ich, Ester, Schritt für
Schritt alle Straßen Istanbuls kenne, auch die der ärmsten und elendesten
Viertel – außer jenen, wo die Einwanderer und die Angehörigen allerlei
zweifelhafter Völkerschaften hausen –, hatte ich hin und wieder das Gefühl,
wir würden in der bodenlosen Dunkelheit und den sich endlos windenden Straßen
ein für allemal verlorengehen. Dennoch konnte ich manche Ecken wiedererkennen,
an denen ich tagsüber geduldig mit meinem Bündel vorübergegangen war: die
Mauern der Gasse vom Ersten Kleidermacher, den scharfen, irgendwie an Zimt
erinnernden Dunggestank, der aus dem Stall neben dem Garten des Nurullah
Hodscha kam, die Brandstätten in der Akrobatengasse, den Falkner-Durchgang und
auf dem Platz, zu dem er führte, den Brunnen des blinden Pilgers, und da wußte
ich auch, daß wir nicht zu dem Haus von Şeküres seligem Vater gingen,
sondern zu einem anderen, mir unbekannten Ziel.
    Hasan war unberechenbar, wenn er in
Wut geriet, und inzwischen war mir auch klar, daß Kara einen anderen Ort
gefunden hatte, an dem er seine Familie vor Hasan wie auch vor dem teuflischen
Mörder verborgen halten konnte. Wäre es mir gelungen, diesen Ort in Erfahrung
zu bringen, hätte ich ihn euch sofort und Hasan gleich morgen früh genannt.
Nicht aus Böswilligkeit, nein, sondern weil ich sicher war, daß Şeküre von
neuem wünschen würde, Hasans Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Doch der kluge
Kara vertraute mir nicht mehr, zu Recht.
    Wir befanden uns in einer dunklen
Straße hinter dem Sklavenmarkt, als vom Ende der Straße laute Rufe, großer
Lärm und Wehgeschrei zu hören waren. Voller Angst erkannte ich das unverwechselbare
Klirren und Rasseln der Äxte, Schwerter und Holzkeulen, wenn ein Kampf
beginnt, und die Schmerzensschreie der Getroffenen.
    Kara überließ sein großes Schwert
einem Mann, dem er vertraute, nahm Şevket den Dolch mit Gewalt aus der
Hand, so daß er weinte, und schickte Şeküre, Hayriye und die Kinder mit
dem Barbiergehilfen und zwei anderen Männern fort. Er sagte, der Medresenstudent
würde mich über eine Abkürzung nach Hause bringen; er ließ mich nicht bei den
anderen. War es Zufall, oder wollte er schlauerweise ihren Zufluchtsort vor mir
geheimhalten?
    Am Ende der engen Gasse, durch die
wir gehen mußten, befand sich ein Laden, bei dem es sich um ein Kaffeehaus
handeln mußte. Das Gefecht hatte womöglich aufgehört, bevor es richtig begann.
Eine johlende Menge ging ein und aus, und ich dachte zuerst an Plünderung, doch
man zerstörte das Kaffeehaus. Sie trugen zuerst die Tassen, die Kaffeetöpfchen,
die Gläser, die kleinen Tische vorsichtig hinaus, damit wir Neugierigen sie im
Licht der Fackeln sehen konnten, um dann alles als warnendes Beispiel vor
unseren Augen zu zerbrechen. Sie schlugen auf jemanden ein, der sie aufhalten
wollte, doch er konnte davonlaufen. Zuerst nahm ich an, es ginge ihnen nur um
den Kaffee, wie sie behauptet hatten. Sie redeten von dem Schaden, den der
Kaffee anrichte, wie er die Augen, den Magen verderbe, das Gehirn trübe und den
Menschen vom Glauben abbringe, sagten, er sei ein fränkisches Gift und der
Prophet Mohammed habe den Kaffee, obwohl er ihm vom Teufel in der Gestalt
einer schönen Frau dargeboten wurde, zurückgewiesen. Es war wie ein
unterhaltsamer Abend im Haus der moralischen Unterweisung, und ich nahm mir
vor, meinen Nesim zu warnen, nicht soviel von diesem Gift zu trinken.
    Da es in der Umgebung viele Heime
für Ledige und billige Gasthäuser gab, hatte sich in kurzer Zeit eine große
Zuschauermenge aus Vagabunden, Habenichtsen und jenem Gesindel angesammelt,
dem es trotz Verbot gelungen war, sich in die Stadt einzuschleichen. Das
ermutigte die Feinde des Kaffees, und dann begriff ich, daß sie die Anhänger
des berühmten Predigers von Erzurum, Nusret Hodscha, waren. Sie wollten ganz
Istanbul von allen Weinschenken, von den Stätten der Unzucht

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