Pamuk, Orhan
und den
Kaffeehäusern säubern und die Derwische bestrafen, die vom Weg des Propheten
Mohammed abwichen, sich in ihren Häusern zur Musik drehten und tanzten und
vorgaben, es handle sich um Anbetung. Sie verfluchten die Feinde des Glaubens,
verfluchten solche, die sich mit dem Satan einigten, die Götzenanbeter, die
Ketzer und die Illustratoren. Da ging mir auf, daß es dieses Kaffeehaus war, in
dem man Bilder an die Wand hängte, dem Glauben und dem Hodscha aus Erzurum die
Zunge herausstreckte und Unanständigkeiten beging.
Ein Kaffeehausgehilfe kam mit
blutüberströmtem Gesicht heraus, und ich dachte, er würde zu Boden stürzen,
doch er wischte sich das Blut mit dem Ärmel von der Stirn und den Wangen,
stellte sich zu uns und schaute wie wir dem Überfall zu. Die Menge hatte sich
vor Angst ein wenig zurückgezogen. Ich bemerkte, daß Kara einen unter all den
Menschen erkannte und auf einmal zögerte. Als sich die Leute des Erzurumers
versammelten, wußte ich, daß entweder die Janitscharen oder eine mit Knüppeln
bewaffnete Gruppe im Anmarsch war. Die Fackeln wurden gelöscht, und die Menge
zerstreute sich.
Kara packte meinen Arm und überließ
mich dem Medresenstudenten. »Ihr geht durch die Seitengassen«, sagte er. »Er
wird dich nach Hause bringen.« Der Student wollte so schnell wie möglich
verschwinden, und wir entfernten uns im Laufschritt. Meine Gedanken waren bei
Kara, aber wenn Ester den Ereignissen fernbleibt, kann sie euch nicht erzählen,
wie die Geschichte weitergeht.
54
Ich, die Frau
Meddah Efendi, heißt es, alles kannst du nachahmen, aber
niemals eine richtige Frau! Ich behaupte das Gegenteil. Ja, zum Heiraten bin
ich nie gekommen, weil ich stets von Stadt zu Stadt gezogen und bis tief in die
Nacht auf Hochzeiten, bei Festlichkeiten und in Kaffeehäusern alles, was es
gibt, nachgeahmt und Geschichten erzählt habe, bis ich heiser war. Das bedeutet
aber keineswegs, daß ich die Frauen nicht kenne.
Ich kenne sie gut, die Frauen, ja,
vieren von ihnen bin ich sogar persönlich begegnet, habe ihre Gesichter
gesehen, mit ihnen gesprochen. Es sind dies: 1. meine selige Mutter, 2. meine
liebe Tante, 3. die Frau meines ältesten Bruders, die mich immer schlug und
»Raus aus dem Zimmer!« rief, wenn sie mich erblickte (die erste Frau, in die
ich verliebt war), und 4. eine Frau, die ich auf meinen Wanderungen für einen
Augenblick in Konya an einem offenen Fenster sah. Obwohl ich nie mit ihr
gesprochen habe, hegte ich jahrelang begehrliche Gefühle für sie – bis zum
heutigen Tag. Vielleicht ist sie längst verstorben.
Da es uns Männern sowohl sinnliche
wie auch tiefe spirituelle Pein bereitet, das unverhüllte Gesicht einer Frau zu
sehen, mit ihr zu sprechen und Zeuge ihrer menschlichen Seiten zu werden, ist
es schon das beste, daß wir eine Frau, besonders, wenn sie schön ist, vor der
Eheschließung nicht zu Gesicht bekommen, wie es unser Glaube vorschreibt. Als
einzigen Ausweg, die sinnliche Begierde zu befriedigen, kann man nur die
Freundschaft schöner Knaben suchen, die den Frauen in nichts nachstehen, und
das wird schließlich zu einer lieben Gewohnheit. Weil bei den Franken die
Frauen in den Städten herumspazieren und nicht nur ihr Gesicht, sondern auch
ihre größten Reize, ihr glänzendes Haar, ihren Nacken, ihre Arme, ihre schöne
Kehle, ja, falls es stimmt, was man sich erzählt, sogar einen Teil ihrer
schönen Beine ganz offen zeigen, tragen ihre Männer ständig einen Steifen vor
sich her, winden sich deswegen in Scham und Pein und können kaum laufen, was
natürlich zur Lähmung der ganzen Gesellschaft geführt hat. Das ist der Grund
dafür, daß der ungläubige Franke jeden Tag eine weitere Festung an den Osmanen
verliert.
Nachdem ich also schon in frühester
Jugend begriffen hatte, daß ein Leben fern von schönen Frauen der einzig
richtige Weg zum Glück und zum Seelenfrieden war, wuchs meine Neugier auf sie.
Weil ich damals außer meiner Mutter und meiner Tante noch keine andere Frau
gesehen hatte, bekam meine Neugier einen geheimnisvollen Zug, mir schien es im
Kopf zu kribbeln, und mir wurde klar, daß ich nur dann verstehen würde, wie sie
sich fühlten, wenn ich tat, was sie taten, aß, was sie aßen, ihre Worte
wiederholte, ihr Verhalten nachahmte und ihre Kleider trug. Daher sagte ich an
einem Freitag, als meine Mutter, mein Vater, mein großer Bruder und meine Tante
zu Großvaters Rosengarten am Ufer des Fahreng aufbrachen, ich sei sehr krank
und wolle zu Hause
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