Pamuk, Orhan
erhabener Padischah während der
zweiundfünfzig Tage dauernden Zeremonien, in deren Verlauf die Handwerker,
Zünfte, Bürger, Soldaten und Räuber an ihm vorüberziehen, auf zweihundert
Seiten hinter dem Fenster auf der für ihn errichteten Empore immer sitzend zu
sehen. Nur auf diesem einen von mir geschaffenen Bild habe ich ihn im Stehen
dargestellt, während er der Menge auf dem Platz Gulden aus den prallen
Geldbeuteln zuwirft. Dies tat ich, um das Staunen und die Freude der sich
Drängenden malen zu können, die mit fliegenden Fäusten, mit Fußtritten und
Würgegriffen versuchen, die Münzen zu erhaschen, und beim Aufsammeln das
Hinterteil zum Himmel strecken.
»Ist Liebe das Motiv eines Bildes,
muß es mit Liebe gemalt werden«, erklärte ich. »Enthält es Schmerz, muß auch
der Schmerz aus dem Bild sprechen. Doch der darf nicht auf den ersten Blick,
nicht aus den Personen im Bild oder deren Tränen sichtbar sein, sondern muß aus
der inneren Ausgewogenheit des Bildes spürbar werden. Ich habe nicht, wie es
Hunderte von Meisterillustratoren jahrhundertelang taten, das Staunen durch
einen Menschen dargestellt, der seinen Zeigefinger in den Mund steckt, sondern
das Staunen durch das ganze Bild hervorgebracht. Das erreiche ich hier damit,
daß der Herrscher aufrecht dasteht.«
Karas Blick, auf meine Sachen und
mein Malzeug, eigentlich auf mein ganzes Leben wie auf der Suche nach einer
Spur gerichtet, machte mich nachdenklich, und ich sah mein eigenes Haus durch
seine Augen.
Es gibt bestimmte, auch euch
bekannte Bilder von Palästen, Bädern und Burgen, die eine Zeitlang in Täbris
und Schiras gefertigt wurden. Der Maler hat den Palast dargestellt, als sei er
wundersamerweise mit einem riesigen Rasiermesser von oben bis unten aufgeschnitten,
und das Geschirr, die Gläser, der von außen unsichtbare Wandschmuck, die
Vorhänge, der Papagei im Käfig, die Kissen in den intimsten Winkeln, das ganze
Innere bis hin zu der Schönheit der auf diesen Kissen ruhenden Schönen, die
niemals das Sonnenlicht sahen – alles ist so dargestellt, daß das Bild dem
aufmerksamen Blick Allahs entspricht, der alles sieht und versteht. Und wie
der Wißbegierige bewundernd aus einem Bild liest, so betrachtete Kara meine
Farben, Papiere, Bücher, meinen hübschen Lehrling, meine für die Reisenden aus
dem Fränkischen angefertigten Seiten für Kostüm- und Sammelalben, die heimlich
für einen Pascha zusammengeschmierten Beischlafbilder und andere unanständige
Blätter, meine bunten Tintenfäßchen aus Glas, Bronze und Ton, meine
elfenbeinernen Federmesser, meine Rohrstifte im Goldgriff und die Blicke meines
hübschen Lehrlings.
»Anders als die alten Meister habe
ich viele Kriege erlebt, sehr viele«, sagte ich, um die Leere des Schweigens
mit meiner Gegenwart zu füllen. »Kriegsmaschinen, Kanonen, Heere, Tote. Alle
Malereien an den Decken der Kriegszelte unseres Padischahs, unserer Paschas
wurden stets von mir ausgeführt. Als ich nach den Kriegen nach Istanbul
heimkehrte, habe ich die Bilder der Kämpfe gemalt, die sonst vergessen würden,
die zweigeteilten Leichen, die aufeinander einstürmenden Heere, die armseligen
Krieger der Ungläubigen, die von den Türmen ihrer umzingelten Festungen voller
Angst auf unsere Kanonen und Heere herunterblicken, die enthaupteten Aufrührer
und das Feuer der mit fliegenden Hufen angreifenden Pferde. Alles, was ich
sehe, bleibt mir im Gedächtnis: eine neue Kaffeemühle, ein nie zuvor erblickter
Fensterhaken, eine Kanone, der Abzug einer neuen Franken-Muskete, wer bei einem
Festmahl welche Farbe trug, wer was gegessen hat, wessen Hand auf welche Weise
wohin gelegt wurde ...«
»Welche Lehre ergeben die drei
Fabeln, die du erzählt hast?« fragte Kara auf eine Art, die alles resümierte
und auch ein wenig Rechenschaft forderte.
»Elif«, gab ich zurück, »die erste
Fabel von Minarett, beweist, daß es die Zeit ist, die unabhängig vom Talent des
Illustrators das makellose Bild malt. Be, die zweite Fabel vom Buch und vom
Harem, verweist auf das Talent und das Illustrieren als den einzigen Weg, sich
der Zeit zu entziehen. Und nun nenne du die dritte Lehre.«
»Cim«, sagte Kara, seiner selbst
sicher, »die dritte Fabel von dem hundertneunzehn Jahre alten Buchmaler,
vereint Elif und Be miteinander und lehrt uns, daß die Zeit dessen, der sich
vom makellosen Leben und Malen entfernt, endet und stirbt.«
14
Man nennt mich Olive
Es war nach dem Mittagsgebet. Sehr rasch, aber mit
Vergnügen,
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