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Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen

Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen

Titel: Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
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du es verstehen.« Das Gesicht des Erfinders wirkte an diesem Morgen noch zerfurchter als sonst. »Wir wissen immer noch nicht, ob die Geheimpolizei nach Vivana und mir sucht. Deshalb sollten wir zusehen, dass wir unbemerkt hinkommen.«
    »Warum sollten sie nach euch suchen?«, fragte Liam alarmiert.
    Vivana unterdrückte ein Seufzen. Ihr Vater war einfach nicht davon abzubringen. »Umbra hat mir ein paar Fragen gestellt, in der Nacht nach dem Ghulangriff, als alles vorbei war. Mein Vater glaubt, dass sie etwas ahnt. Aber sie weiß nichts.«
    »Bist du da ganz sicher?«
    »Ja! Jetzt fang du nicht auch noch an.«
    »Trotzdem sollten wir tun, was dein Vater sagt«, meinte ihre Tante. »Sicher ist sicher. Immerhin haben wir das Buch bei uns.«
    »Fahrt mit dem Boot«, schlug Madalin vor. »Auf dem Fluss
kontrolliert euch niemand. Bajo hat sicher nichts dagegen, wenn ihr seins nehmt.« Nach einem Moment des Zögerns wandte er sich an Livia: »Und nimm etwas javva mit. Man kann nie wissen.«
    Reglos kauerte Liam am Bug des kleinen Bootes, das Gesicht im Wind und die Haut klamm vor Kälte. Eine Hand dicht über dem Wasser, sodass seine Fingerkuppen die Bugwellen streiften, die andere auf dem feuchten Holz der Bank. Es regnete nicht mehr. Tropfen rannen am Saum seiner Kapuze herab und perlten über den schweren Filzumhang.
    Er hatte vergessen, wie Flusswasser roch. Wie das ewige Summen und Raunen der Stadt klang. Wie es sich anfühlte, wenn einem der Wind durch das Haar pflügte. All das hatte er vergessen, während er in seinem eigenen Körper gefangen gewesen war, eingehüllt von der Bosheit des Dämons und abgeschnitten von jeder Empfindung. Eine Marionette aus Fleisch und Knochen. Lebendig und doch tot.
    Ein Brummen erklang, vertraut und zugleich neu und fremd. Er hob den Kopf und entdeckte ein Luftschiff, das über den Bleidächern am Südufer erschien und nordwärts fuhr, gefolgt von einem Schweif aus blassgoldenem Aetherdampf. Er blickte ihm nach, bis es im Dunst und Rauch des Kessels verschwand. Er lechzte nach Bildern, nach Geräuschen und Gerüchen, nach jedem noch so kleinen Sinneseindruck. Dem Prasseln eines Kaminfeuers. Dem Glitzern des Sonnenlichts auf einer Fensterscheibe. Dem Duft einer Karotte, an der noch Erde klebte. Mit jeder Empfindung, die er auskostete, kehrte die Erinnerung zurück, die Erinnerung daran, wie es war, ein Mensch zu sein. Und doch wusste er, dass es noch viele Tage dauern würde, bis er die Nachwirkungen der Besessenheit endgültig abgeschüttelt hatte. Zu machtvoll, zu erdrückend war die Präsenz des Dämons gewesen.

    Sie ließen sich von der Strömung treiben. Quindal saß an den Rudern, benutzte sie jedoch nur, um das Boot in der Mitte des Flusses zu halten und den Lastkähnen und Schaufelbarken auszuweichen, die ihnen dann und wann entgegenkamen. Für Liam war die Fahrt den Rodis hinab wie eine Reise durch die Zeit, durch die vergangenen Wochen und Monate. Da war der Magistrat, wo er bei Lady Sarka vorgesprochen hatte, um Arbeit im Palast zu bekommen. Dort der Eingang zur Alten Pumpstation, wo Quindal und er Geheimnisse getauscht hatten. Auf der anderen Seite des Flusses der Phönixturm, dessen laternenartige Spitze die Stadthäuser und Kamine überragte. Es erschien ihm wie gestern, dass Vivana und er vor dem Aufruhr geflohen waren und Schutz in einer menschenleeren Gasse gesucht hatten. In jener Nacht war ihm klar geworden, was er für sie empfand, dass er ihr mehr vertraute als jedem anderen Menschen. Eine glückliche Erinnerung. Eine der wenigen in den letzten Monaten.
    Und dann war da noch die Sternwarte von Scotia, sein Zuhause. Lange haftete sein Blick an der regennassen Eisenkuppel auf dem Hügel am Flussufer, und alles fiel ihm wieder ein. Corvas und die Spiegelmänner. Der Tod seines Vaters. Seine Flucht. Hier hatte alles angefangen, hier hatte er zum ersten Mal von dem Gelben Buch gehört. Und heute würde er endlich erfahren, wonach sein Vater gesucht hatte, wofür er bereit gewesen war, sein Leben zu geben.
    Vivana bemerkte seinen Blick und setzte sich neben ihn, nahm seine Hand. Sie sagte nichts, musste nichts sagen. Ihre Nähe genügte, seine Trauer zu lindern.
    Eine Viertelmeile, nachdem sie die Chimärenbrücke passiert hatten, zog Quindal die Ruder ein und starrte zum Nordufer, zu den Manufakturen des Kessels.
    »Du denkst an deine Werkstatt, nicht wahr?«, erkundigte sich Vivana behutsam.

    »Ich frage mich, ob sie noch meine Werkstatt ist«, erwiderte der

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