Pandoras Tochter
nicht noch mehr jammern – das will ich dir nicht zumuten.«
»Du jammerst nie.«
»Das sagst du nur, weil du mich liebhast.« Ihr Lächeln verblasste. »Gott sei Dank. Habe ich dir jemals gesagt, was mir das bedeutet? Darüber sollten wir mal reden.« Sie schob ihren Stuhl zurück. »Und über dein Privatleben. Wenn ich mich recht entsinne, hattest du seit meinem Praktikum keine Verabredungen mehr.«
Er grinste. »Ich habe mein fortgeschrittenes Alter als Entschuldigung.«
»Blödsinn.«
Er lachte leise. »Ich hoffe sehr, dass du recht hast.« Er wurde wieder ernst. »Also, was ist aus deinem Julio geworden?«
»Er war mir zu leidenschaftlich.« Sie ging zur Tür, warf jedoch noch einen Blick über die Schulter. »Weshalb all diese Fragen? Alpträume. Stimmungsschwankungen. Mein nichtexistentes Liebesleben. So wissbegierig warst du, seit wir zusammengezogen sind, nicht mehr. Was hat diese Neugier zu bedeuten?«
»Du hast mich letzte Nacht wachgerüttelt«, erwiderte er ruhig. »Ich hätte dich beinahe verloren. Das hat mich darauf gebracht, dass ich mich mehr für deine Angelegenheiten interessieren sollte.« Er schmunzelte. »Mir wurde klar, dass ich meine Pflichten vernachlässigt habe.«
Seine Zuneigung wärmte ihr Herz. »Pflicht bedeutet gar nichts. Du schenkst mir Liebe, und das ist hundertmal wichtiger.« Sie winkte und ging. Sein Lächeln schwand, während sie die Einfahrt überquerte und zu seinem Camry ging.
Sie war ihm nicht ausgewichen, trotzdem hatte sie Probleme, über Julio zu reden. Sie hatte ihn verletzt, und die Schuldgefühle nagten immer noch an ihr. Er hatte Leidenschaft mit Liebe verwechselt, und sie hätte vorsichtiger sein müssen. Die Reue plagte sie so sehr, dass sie keine andere Beziehung mehr eingegangen war. Einige Male war sie versucht gewesen, sich auf jemanden einzulassen, weil sie entdeckt hatte, dass Sex ein Ventil war, das ihr half, den Schmerz und die Anspannung zu lindern, wenn die Emotionen zu hohe Wellen schlugen. Aber es war nicht fair zu nehmen, wenn man den Geber damit verletzte.
Füge niemandem Schaden zu.
Die erste Regel des hippokratischen Eides, den sie vor kurzem geleistet hatte. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, als sie den Wagen zurücksetzte. Das war nicht gerade das eigentliche Anwendungsgebiet für dieses Bekenntnis, aber Schwur war Schwur.
Aber jetzt musste sie Phillips unerwartete Fixierung auf ihr Liebesleben vergessen. Der kleine Davy wartete auf sie, das war am heutigen Tag das Wichtigste.
K APITEL 3
S
ie ist wundervoll, dachte Grady. Megan stand vor dem Elefantengehege und unterhielt sich mit dem kleinen Jungen – sie hatte sich so entwickelt, wie er es vor Jahren für möglich gehalten hatte. Sie strahlte und schien das ganze Licht an diesem wolkenverhangenen Tag auf sich zu ziehen. Mit fünfzehn war sie schmächtig und unscheinbar gewesen, aber schon damals hatte sie dieses Lächeln, das einerseits Übermut, andererseits atemlose Erwartung verriet. Mittlerweile war ihr Körper gereift, und das Lächeln war voller Wärme und Liebe.
Er beobachtete, wie der kleine Junge auf sie reagierte, lachte und sich an sie drängte. Wer konnte ihm das verübeln?
Hör auf, sie anzustarren, ermahnte er sich. Vergiss nicht, was Megan war und was sie jetzt ist.
Denk daran, was sie sein könnte.
Tu, was du tun musst.
»Darf ich auf dem Elefanten reiten?«, fragte Davy. »Ich wette, er mag mich.«
»Ganz bestimmt.« Megan bot ihm Popcorn an. »Aber ich glaube nicht, dass kleine Jungs auf ihm reiten dürfen. Vielleicht können wir stattdessen in den Streichelzoo gehen.«
»Ich will einen Elefanten. Im Streichelzoo gibt’s nur langweilige Ziegen und so.« In Davys süßer rauer Stimme schwang Verachtung mit. »Nicht einmal einen Gorilla.«
»Wie schrecklich.« Megan überlegte, was sie ihm noch vorschlagen konnte. Davy war kein Quälgeist, aber er konnte ganz schön eigensinnig sein, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. »Ich weiß nicht, warum sie King Kong nicht für dich hergeholt haben. Wie wär’s mit einer Bahnfahrt?«
»Ja, das ist okay.« Er warf dem Elefanten noch einen sehnsüchtigen Blick zu. »Wenn du sicher bist, dass sie mich nicht reiten lassen …«
»Ich bin sicher.« Sie schob ihn behutsam in Richtung Bahn. »Aber wir werden mit deiner Mom reden und sehen, ob wir …«
Wirbelnde Dunkelheit.
Stimmen. Stimmen. Stimmen.
»Megan?«
Davy zupfte an ihrem Pullover und sah sie ängstlich an. »Steigen wir nicht in
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