Pandoras Tochter
vergessen?«
»Dieses Mal bin ich mir sicher, dass Sie mich im Stillen verfluchen und denken, dass Sie ohne meine Einmischung besser zurechtkämen.«
»Kann sein.«
»Darf ich hereinkommen?«
Phillip wurde sich bewusst, dass er ihn nicht ins Haus lassen wollte. Grady hatte sich verändert. Er war ein junger Mann von fünfundzwanzig Jahren gewesen, als er mit der Bitte an Phillip herangetreten war, Megan in seine Obhut zu nehmen. Jetzt musste er Mitte dreißig sein, und obschon er noch immer schlank und gutaussehend war, vermutete Phillip hinter der schillernden Fassade Wunden und Narben, die ihm Erfahrungen, die er sich kaum vorstellen konnte, beigebracht hatten. Obwohl Grady jünger war, umgab ihn eine Aura aus Macht und Selbstbewusstsein, die ein bisschen einschüchternd wirkte. Heute war diese Macht kultivierter und subtiler, aber unendlich stärker.
Phillip zuckte mit den Schultern und trat beiseite. »Ich könnte Sie ohnehin nicht aufhalten, hab ich recht?«
»Ja. Sie müssten mich erschießen.« Er betrat das Haus und schloss die Tür. »Aber das wäre nicht besonders schlau. Ich mag nicht derjenige sein, den Sie sich für Megan wünschen, aber Sie möchten auch nicht alle Brücken einreißen.« Er schaute sich im Wohnzimmer um. »Hübsch. Behaglich.«
»Uns gefällt’s«, gab Phillip zurück. »Wir haben die Möbel gemeinsam ausgesucht, als wir seinerzeit dieses Haus bezogen. Das war ein Neuanfang für uns beide, und ich wollte, dass sie sich wohl fühlt.«
»Ich bin überzeugt, dass sie das tut. Sie haben ihr Geborgenheit gegeben. Als junger Mensch braucht man Schutz.«
Phillip machte die Anspielung hellhörig. »Sie meinen, jetzt, da sie erwachsen ist, braucht sie keinen Schutz mehr? Sie irren sich. Jeder Mensch sehnt sich nach einem Gefühl der Sicherheit.«
»Aber manchmal bekommen wir nicht das, was wir brauchen oder uns wünschen. Wo ist sie?«
»Sie hat sich hingelegt. Sie fühlt sich nicht gut.« Phillip sah seinen Besucher anklagend an. »Haben Sie etwas damit zu tun?«
»Ja.« Er schaute auf seine Uhr. »Ich kann ihr noch eine halbe Stunde Ruhe zubilligen. Ich könnte ihr helfen, denke jedoch, dass es besser ist, wenn sie die Sache allein überwindet. Warum bieten Sie mir nicht einen Kaffee an, während ich warte?«
»Mir ist nicht danach, den Gastgeber zu spielen.« Er deutete auf die Tür zur Küche. »Machen Sie sich den Kaffee selbst.«
»Meinetwegen.« Grady ging in die Küche. »Ich kann sogar einen für Sie mit aufbrühen.«
Phillip folgte ihm, blieb in der Tür stehen und beobachtete, wie Grady in den Schränken suchte, bis er den Kaffee gefunden hatte. »Was haben Sie mit ihr gemacht?«, wollte Phillip wissen.
»Ein kleines Experiment.« Er gab Kaffeepulver in den Filter der Maschine. »Ich musste prüfen, wie viel sie ertragen kann.«
»Was soll das heißen?«
»Ich habe ihr die Kontrolle entzogen.« Grady bedachte den Hausherrn mit einem gleichmütigen Blick. »Ich habe zugelassen, dass sie die Stimmen angreifen. Ich dachte, der Zoo ist ein guter Ort dafür, da er allgemein als Vergnügungspark angesehen wird und die Chance bestand, dass sie die Wucht nicht zu schwer traf. Ich wollte nicht, dass sie ihren speziellen Dämonen begegnet, aber ich habe ihr vor Augen geführt, dass sie da sind.«
»Zur Hölle mit Ihnen.«
»Mit dieser Reaktion habe ich gerechnet.« Grady zuckte mit den Schultern. »Ich hielt das für nötig. Ich musste mich vergewissern, ob sie noch so stark ist wie als junges Mädchen.«
»Indem Sie ihr weh tun?«
Grady nickte. »Indem ich ihr weh tue.«
»Und was haben Sie herausgefunden?«
»Dass sie tausendmal stärker ist. Molino würde spüren, dass er einen enormen Coup gelandet hat, wenn es ihm gelänge, sie zu töten. Sie ist nicht nur die Tochter ihrer Mutter, sondern eine eigenständige Persönlichkeit.« Und ungehalten setzte er hinzu: »Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen. Zu schade. Sehen Sie den Tatsachen ins Auge – Molino ist ihr entweder gerade in diesem Augenblick auf der Spur, oder er wird sie bald finden. Es ist besser, wenn sie vorbereitet ist. Wenn wir vorbereitet sind.« Er drehte sich zu der Kaffeemaschine um. »Und sie kann nichts dafür. Sie hat Talent. Und ich werde es nutzen.«
»Sie können mich mal. Ich lasse Sie nicht in ihre Nähe.«
»Phillip«, sagte Grady leise, »Sie haben keine andere Wahl. Sie sind nicht ihr Onkel. Sie gehört mir. Ich habe sie lediglich an Sie ausgeliehen. Jetzt nehme ich sie mir
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