Pandoras Tochter
zurück.«
»Das ist Unsinn. Sie ist ein menschliches Wesen und gehört niemandem.«
»Sie gehört mir, bis ich die Chronik gefunden habe. Danach kann sie machen, was sie will. Ihr beide könnt von der Bildfläche verschwinden.« Er legte eine Pause ein. »Wir müssen sie finden, Phillip, das wissen Sie. Ein Menschenleben zu riskieren ist ein kleiner Preis dafür.«
»Dieses Risiko will ich aber nicht eingehen. Nicht, wenn es um Megans Leben geht.«
»Ich habe Ihnen von vornherein gesagt, dass es so weit kommen kann.«
»Ich habe nicht gedacht … es war alles so abstrakt. Jetzt ist sie meine Familie.«
»Dann tut es mir leid für Sie«, entgegnete Grady matt, als er sich an den Küchentisch setzte. »Aber da draußen gibt es Menschen, die ihr Leben lassen müssen, wenn wir Megan schonen.«
»Das ist nicht fair. Molino ist ein Irrer. Möglicherweise ist sie ja nur eine Lauscherin, keine Pandora.«
»Das hoffe ich nicht. Sollte sie jedoch eine Lauscherin sein, ist sie eines der größten Talente, denen ich je begegnet bin. Sie kann uns trotzdem helfen, wenn es mir gelingt, ihre Begabungen richtig zu kanalisieren. Ich brauche nur einen Hinweis, einen Pfad, den ich einschlagen kann. Ich renne gegen Mauern, und die Zeit wird knapp.«
»Sie hat ihr eigenes Leben.«
»Und sie kann es wieder haben, nachdem sie mir gegeben hat, was ich will.«
Phillip schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht fassen, dass Sie so hart sind.«
»Nicht hart genug. Wenn ich richtig hart wäre, hätte ich zugelassen, dass sich Megan in der Höhle etwas antut oder wahnsinnig wird, statt sie zwölf Jahre lang mitzuschleppen.« Er schaute in seine Tasse. »Und Sie irren sich meiner Meinung nach. Ich glaube, sie ist eine Pandora.«
»Das heißt noch lange nicht, dass man sie abschießen muss wie einen tollwütigen Hund.«
»Sagen Sie das Molino.«
»Sie verdient es, dass man ihr eine Chance gibt.«
»Sie hatte ihre Chance. Ich hab sie ihr gegeben. Das war nicht leicht.« Er hob die Tasse an die Lippen. »Jetzt ist es für sie an der Zeit, die Zeche zu bezahlen.«
»Wie ihre Mutter«, fügte Phillip bitter hinzu.
»Möglich. Ich verspreche nichts.« Er trank seinen Kaffee aus und erhob sich. »Jetzt will ich Megan sehen. Wenn Sie mich aufhalten, sollten Sie lieber die Waffe holen, die Sie in der obersten Schublade Ihres Schreibtisches aufbewahren. Daran haben Sie ohnehin die letzten zehn Minuten sehnsüchtig gedacht.«
Scheiße.
»Entschuldigung, ich hab Sie nicht absichtlich belauscht. Ich respektiere Sie und kann Ihre Bedenken verstehen«, fuhr Grady fort. »Um genau zu sein, ich bin kein Gedankenleser. Manchmal sickert nur etwas zu mir durch.«
»Ich hasse all diesen parapsychologischen Quatsch«, stieß Phillip durch zusammengebissene Zähne hervor.
»Dennoch nehmen Sie die Hilfen an, wenn Sie sie brauchen.« Grady wedelte mit der Hand, als Phillip etwas erwidern wollte. »Ich will Ihnen kein schlechtes Gewissen einreden. Dankbarkeit hab ich nie von Ihnen erwartet. Und Sie sind nicht der Einzige. Den meisten Menschen ist das Übersinnliche unheimlich. Molino gehört auch dazu. Ihn spornen nur Hass und Rachedurst an. Er fürchtet uns und ist neidisch. In seinen Augen ist Talent eine Waffe der Macht, und er will nicht, dass einer von uns diese Waffe besitzt, wenn er sie nicht haben kann.« Seine Mundwinkel zuckten. »Molino ist definitiv auf Macht aus.«
»Wir wissen nicht mit Gewissheit, ob der Fahrer des Trucks wirklich einer von Molinos Leuten war. Ich habe bei der Polizei nachgefragt, sie haben ihn bisher noch nicht ausfindig gemacht.«
»Wenn sie ihn nicht aufspüren, dann ist er wahrscheinlich nicht nur ein besoffener Idiot, der Crashrennen liebt. Ich habe Jed Harley beauftragt, ein Auge auf Megan zu haben und sich umzuhören. Aber bis jetzt hat er nichts erfahren. Deshalb«, fuhr er fort, »schlage ich vor, dass Sie Ihre Waffe in der nächsten Zukunft schussbereit halten.« Er machte sich auf den Weg zu Megans Zimmer. »Ich brauche mindestens eine Stunde allein mit ihr. Es wäre besser für sie, wenn Sie uns nicht stören würden. Sie wird genug haben, womit sie fertig werden muss.«
Phillip fürchtete, dass er die Wahrheit sagte, und war frustriert. Die Begegnung mit Grady war bestimmt ein Alptraum für Megan. Er würde sich nicht zurückhalten, und sie war im Moment so verletzlich. »Verdammt, tun Sie ihr nicht weh.«
Ohne einen Blick zurück und in Gedanken schon bei Megan, antwortete Grady: »Nicht, wenn ich es
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