Pandoras Tochter
eine Tragödie passiert ist, und können auch nur dort gehört werden.«
»Soweit wir wissen.«
»Und du denkst, Gillem hat in seinem Wohnwagen Traumatisches erlebt? Ein Suizid ist sicherlich eine Tragödie, aber der Selbstmörder muss nicht notwendigerweise unter extremem Stress stehen. Manchmal ist er einfach nur traurig und resigniert.«
»Ich glaube nicht, dass Gillems Tod still war. Er ist gewaltsam gestorben. Er hat sich die Kehle mit einer gezackten Spiegelscherbe aufgeschnitten.«
Kaltes Entsetzen packte Megan.
»Er hat keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Du wirst diese Frage beantworten müssen.«
»Wenn ich kann.« Sie wiegte den Kopf. »Ich weiß nichts darüber. Keine Ahnung, ob ich überhaupt etwas anderes hören kann als bedeutungsloses Stimmengewirr.«
»In der Höhle konntest du einiges verstehen.«
»Aber gelingt mir das noch einmal?« Wollte sie das überhaupt? Natürlich nicht. Sie fürchtete sich davor, diesen Wohnwagen zu betreten. »Du hast selbst gesagt, du wüsstest nicht, was du von einem Lauscher erwarten kannst. Und ich bin bestimmt die unerfahrenste Lauscherin auf diesem Planeten.«
»Willst du dich drücken?«
Ja.
»Nein.« Sie würde nicht vor dieser ersten Herausforderung davonlaufen. Dabei ging es nicht nur um die Abmachung mit Grady – sie wusste, dass sie ihr Leben lang Angst haben würde, wenn sie sich den Stimmen nicht noch einmal stellte. »Ich werde mich nicht drücken.« Sie sah aus dem Wagenfenster. »Aber ich möchte, dass du mir eins versprichst.«
»Dass ich dir helfen werde?«
»Nein, dass du draußen bleibst. Ich möchte allein in dem Wohnwagen sein. Ich weiß nicht, ob du mir die Situation erleichtern könntest. Du hast gesagt, in der Höhle wäre es dir geglückt. Falls du es kannst, dann will ich nicht, dass du es tust.«
»Ich kann nicht viel tun, wenn du es nicht zulässt. Du bist mittlerweile zu stark.« Seine Hände umklammerten das Lenkrad fester. »Lass mich dir helfen, Megan. Schließ mich nicht wieder aus.«
»Ich möchte das nicht. Damit muss ich allein fertig werden. Du wirst mich nicht behindern. Versprich es mir.«
Er schwieg eine ganze Weile, ehe er nickte. »Okay, du hast mein Wort.« Und bitter setzte er hinzu: »Bist du jetzt glücklich?«
»Nein.« Sie bemühte sich, ihre Stimme zu stabilisieren. »Ich habe Angst. Aber das spielt keine Rolle. So muss es wohl sein.«
»Du meinst, du willst es so haben?«
Nein. Sie hätte sich gern auf seine Kraft gestützt. Sie wollte Geborgenheit und Schutz gegen Stürme und die Stimmen, die nie verstummten. Sie wiederholte: »So muss es sein.« Dann wechselte sie das Thema. »Sind wir bald da?«
»Nur noch ein paar Kilometer. Ich habe einen Bungalow mit zwei Schlafzimmern gemietet, weil ich ein Auge auf dich haben will.«
»Gute Idee. Ich habe nichts dagegen, beschützt zu werden. Mir geht ohnehin schon genug durch den Kopf. So, wie ich es sehe, ist das dein Job.«
»Und ich erledige ihn. Ich wünschte nur, du würdest …« Sein Handy klingelte, und er schaute auf das Display. »Harley.« Er nahm den Anruf entgegen. »Was ist?« Er hörte eine Weile zu, dann sah er Megan an. »Er hat das Zirkusgelände ausgekundschaftet und keine Spur von Molino oder seinen Leuten entdeckt. Trotzdem können wir nicht absolut sicher sein – Harley sieht sich noch mal genau um. Er kann arrangieren, dass du entweder morgen Nacht in den Wohnwagen kannst oder …«, er hielt kurz inne, »… oder heute noch. Deine Entscheidung.«
Ihre Muskeln spannten sich an. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie so etwas selbst entscheiden müsste. Sie hatte gedacht, dass ihr noch Zeit bliebe, sich mental vorzubereiten.
»Kein Stress«, sagte Grady ruhig. »Morgen Nacht ist prima.«
Das würde jedoch bedeuten, dass sie all die Stunden Angst haben und sich fragen würde, was sie in diesem Wohnwagen erwartete. Und wie sollte sie sich mental vorbereiten? Sie hatte keine Ahnung, was passieren würde. »Heute.«
Grady zögerte, und sie dachte schon, er wollte ihr das ausreden, doch dann sagte er ins Telefon: »Heute.« Dann unterbrach er die Verbindung. »Es ist erst neun. Wir müssen bis drei warten, bevor wir losgehen. Jetzt richten wir uns erst mal im Motel ein.«
»Gut.« Fang nicht an zu zittern. Zeig ihm nicht, wie sehr du dich fürchtest. »Ich gehe unter die Dusche und rufe Dr. Gardner an, um mich vorzustellen und mich nach Phillip zu erkundigen. Dann schicke ich meinem Freund Scott und seiner Frau Jana eine E-Mail
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