Pangea - Der achte Tag
war immer noch ein eher schwächlicher Fünfzehnjähriger, der sich früher regelmäßig vor dem Sportunterricht gedrückt und Sport allgemein für Zeitverschwendung gehalten hatte. Das rächte sich nun. Seine Arme wurden schwerer, seine Bewegungen langsamer. Mingan merkte es sofort und schlug noch härter zu. Sie zielte immer dahin, wo es wehtat: ins Gesicht und in die Nieren. Und dabei drängte sie ihn erneut zu der Stelle, wo irgendwo im Gebüsch die Machete liegen musste. Von den Kalmaren war keine Hilfe mehr zu erwarten. Aber Mingan humpelte und zog den gebrochenen Fuß nach, der ihr höllische Schmerzen bereiten musste. Und Schmerzen machten schwach.
Es wurde Zeit für die schmutzigen Tricks.
»Warte mal!«, rief Sariel laut.
»Was?«, brüllte Mingan und achtete für einen Moment nicht auf ihre Deckung. Diese Sekunde nutzte Sariel, um ihr voll gegen den gebrochenen Fuß zu treten.
Mit einem Schrei sackte Mingan zusammen und krümmte sich wimmernd am Boden. Sariel warf sich sofort mit seinem ganzen Gewicht auf ihr verletztes Bein. Mingan schrie wieder auf, aber das hörte Sariel kaum. Mit raschen Griffen packte er ihre Arme und verdrehte sie hinter ihrem Rücken. Mingan war jetzt kampfunfähig. Sariel saß keuchend auf ihrem Bein, hielt ihre Arme unbarmherzig fest und fragte sich, wie er Mingan in dieser Position fesseln sollte. Und überhaupt: womit!
Zeit, sich lange darüber Gedanken zu machen, hatte er jedoch nicht.
»Lass sie los!« Plötzlich eine Stimme von hinten, ganz nah, und irgendjemand drückte ihm den Lauf eines Shi in den Rücken. »Lass sie sofort los oder ich töte dich auf der Stelle!«
Jetzt erkannte Sariel die Stimme. Sie gehörte Li, Liyas Zhan-Shi-Freund. Er war offenbar allein.
»Nein!«, keuchte Sariel. »Ich kann nicht!«
»Lass. Sie. Los!« Lis Stimme klang kühl und entschlossen. Sariel zweifelte nicht mehr, dass er es ernst meinte. Auch Li hatte man nur dazu ausgebildet, den Sariel zu töten. Mingan hatte aufgehört zu schreien. Sie schien die neue Situation sofort erfasst zu haben.
»Li!«, keuchte Mingan voller Hass. »Töte ihn! Worauf wartest du? Er ist der Sariel!«
Sariel versuchte verzweifelt, einen klaren Gedanken zu fassen. »Wenn ich Mingan loslasse, tötet sie mich, und wenn ich sie nicht loslasse, tötest du mich. Wo ist der Unterschied?«
»Niemand wird getötet, wenn du tust, was ich sage.«
Li drückte ihm den Lauf des Shi ein wenig fester in den Rücken. Sariel fragte sich, ob er noch das dumpfe Ploppen hören würde, bevor der Eisdorn ihn von hinten ins Herz traf. »Du hast keine Ahnung, Li! Mingan ist eine Verräterin!«
»Töte ihn, Li!«, rief Mingan.
»Zum letzten Mal: Lass sie los und steh auf!« Sariel hatte keine Wahl. Er ließ Mingans Arme los und Li trat hinter ihm einen Schritt zurück. »Jetzt steh auf! Aber langsam!« Sariel gehorchte. Augenblicklich robbte sich Mingan von ihm weg und versuchte stöhnend, sich an einem Ast aufzurichten. Sariel ließ sie nicht aus den Augen.
»Dreh dich um!«, befahl Li. Sariel wandte sich nur halb zu Li um, sodass er Mingan immer noch im Blick hatte. Li hielt sein Shi direkt auf ihn gerichtet.
»Glaub mir, Li, sie ist eine Verräterin.« Ein kurzes Ploppen, ein scharfes Zischen, und dicht neben Sariel schlug ein Eisdorn in einen Ast und zersplitterte im Holz. Nur ein Warnschuss, aber Sariel zuckte dennoch panisch zusammen.
»Halt die Schnauze!«, zischte Li. »Du hast Liya getötet!«
»Sie ist nicht tot!«, rief Sariel verzweifelt. »Sie hängt nur irgendwo zwischen den Zeiten fest! Ich hab die ganzen letzten Tage mit ihr gesprochen!« Li schoss erneut auf Sariel, diesmal sirrte der Eisdorn haarscharf an Sariels Ohr vorbei.
»LÜGNER!«, brüllte Li.
»SCHEISSE!«, brüllte Sariel voller Angst und Wut zurück. »DANN KNALL MICH DOCH AB, DU ARSCH! ABER DANN WIRST DU DIE WAHRHEIT NIE ERFAHREN!«
Li zögerte. Aus den Augenwinkeln sah Sariel, dass sich Mingan bewegte. Li sah es ebenfalls. »Bleib stehen, Mingan!«
»Du wirst ihm doch nicht etwa glauben!« Mingan bewegte sich langsam weiter. »Er hätte mich getötet, und er wird auch dich töten, wenn du noch weiter zögerst. Er ist gerissen. Er ist stark. Töte ihn, Li! Jetzt gleich!« Sariel merkte, dass sie auf die Stelle zusteuerte, wo seine Machete liegen musste. Li bemerkte es ebenfalls, zögerte jedoch.
»Li! Sie hat die Zeitbombe in ihrem Rucksack, du kannst nachsehen. Sie hat sie aus dem Zimmer von Liyas Vater gestohlen. Wir kamen zu spät.
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