Panic
Glut, stopfte ein paar Fetzen Papier darunter und blies. Das Papier rauchte, fing Feuer, und ich legte Reisig nach, bis ein knisterndes Feuer den Ofen erwärmte. Kurant starrte auf die Feder.
»Was hat sie zu bedeuten, was meinen Sie?«, fragte ich.
Kurant war erschrocken. »Ich weiß es nicht. Warum? Woher soll ich das wissen?«
»So hab ich es nicht gemeint. Ich dachte doch nur, dass jemand, der schreibt, so wie Sie, vielleicht eine Theorie hat.«
»Ich hab noch nicht darüber nachgedacht«, sagte er schnell. Er sah beiseite und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Na ja, ich musste immerzu an Grover denken, wie er da baumelte. Die ganze Nacht ging mir sein Anblick nicht mehr aus dem Kopf … Und immer wieder hab ich mir dieselbe Frage gestellt – was bringt einen Menschen dazu, einen anderen Menschen zu jagen? Was bringt einen Menschen dazu, überhaupt zu jagen?«
Die Leidenschaft in seiner Stimme war neu für mich.
»Dann waren Sie wohl auf dem Flug hierher nicht ganz ehrlich? Sie gehören zu den Jagdgegnern.«
Er zuckte die Schultern. »Sagen wir es so, ich verstehe die Beweggründe nicht.«
»Da steckt doch noch mehr dahinter. Sind Sie Vegetarier?«
»Wenn es geht«, gab er zu. »Hier ist es unmöglich, also füge ich mich. Schließlich ist das hier mein Job. Doch darum geht’s nicht. Wie deuten Sie die Federn?«
»Vielleicht sollen sie Ihre Frage beantworten: ›Warum gibt es Menschen, die jagen?‹« Und dann kam mir ein Gedanke, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. »Vielleicht haben die Federn überhaupt keine Aussage, sind lediglich eine Art Visitenkarte. Vielleicht steckt die Botschaft in den Gejagten selbst.«
»Ich versteh nicht ganz …«
»Jäger«, sagte ich. »Die Jäger werden zu Gejagten.«
Kurant sank schwer in den Ledersessel. Er kaute auf seinem Schnurrbart. »Das ist schlimmer als alles, was mir hätte einfallen können«, murmelte er, mehr zu sich selbst als zu mir. »Ich dachte, ich hätte alle Möglichkeiten durchgespielt, aber dass es grausame Ironie sein könnte …«
Ich wollte ihn gerade fragen, wie das gemeint war, als es klopfte.
»Diana?«, rief Griff. »Cantrell will uns sehen. Jetzt gleich!«
»Geben Sie mir fünf Minuten«, rief ich zurück. Ich wandte mich an Kurant. »Entschuldigen Sie mich jetzt, ich muss mich duschen und anziehen.«
Als ich in die Dusche stieg, musste ich erneut feststellen, wie sehr er mich in seinen Manierismen an Kevin erinnerte, selbstsicher zwar, aber irgendwie auch schwach.
Nachdem Kevin mir wegen des Geldes ein Ultimatum gestellt hatte, war ich dem Wald eine Woche lang fern geblieben und hatte die treu sorgende Ehefrau gespielt. Ich nahm mir vor, Cantrell anzurufen, die Buchung rückgängig zu machen. Doch dann hatte ich wieder von dem fliehenden Hirsch geträumt und den Anruf verschoben. Am Wochenende wollte ich mit Patrick und Emily zum Arboretum in Brookline fahren, als sichere Alternative gleichsam zur lockenden Wildnis.
Doch dann sollte es ganz anders kommen. Einmal im Wagen, zog es mich unaufhaltsam aus der Stadt, durch die dicht besiedelten Vorstädte hinaus aufs Land bis zum Quobbin Reservoir nordwestlich von Springfield. Ich stellte den Wagen an einem Forstweg ab und ging mit den Kindern in den Wald. Die ungewohnte Umgebung schüchterte sie ein: Emily lutschte heftig am Daumen, und Patrick hielt sich an meinem Hosenbein fest, als ich ihn ermutigte, vorneweg zu laufen. Ein paar Stunden später tauten sie auf und liefen vergnügt umher, bestaunten die Pilze, die aus dem schwarzen Waldboden wuchsen, oder die Forellen, die durchs flache Wasser eines Bachs flitzten, und erstarrten in Ehrfurcht, als eine Hirschkuh und ihre Kälber über einen nahen Hang wechselten.
»Dürfen wir ihnen nachlaufen?«, fragte Patrick.
»Nur zu«, sagte ich. »Solange ihr gegen den Wind lauft, wittern sie euch nicht.«
Patrick rannte der Hirschkuh hinterher, stolperte über eine Wurzel und fiel hin. Er wand sich weinend auf dem Boden und hielt sich den Knöchel. Wir waren meilenweit von der Straße entfernt, und ich brauchte Stunden, um ihn hinauszutragen, zumal Emily noch dazu jammerte, sie sei müde und hungrig. Ich hatte nicht genügend Essen oder Wasser dabei. Dann fiel sie auch noch hin und schlug sich das Kinn auf.
Ich hatte Kevin versprochen, dass wir gegen Mittag wieder zu Hause sein würden. Doch nach der zweistündigen Fahrt zum Krankenhaus, wo wir Emilys Kinn nähen und Patricks Knöchel untersuchen ließen, war es
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