Panik: Thriller (German Edition)
ausgesandt. Ich musste einfach hierher, das ging gar nicht anders.«
» Bist du gerade angekommen?«, fragte Daisy. » Willst du was essen?«
Im gleichen Moment fiel ihr ein, dass sich Rilke zusammen mit ihren Vorräten im Restaurant eingeschlossen hatte. Glücklicherweise schüttelte Marcus den Kopf.
» Ich war in dem alten Autohaus da drüben«, sagte er. » Im Büro war eine alte Müslischachtel. Ich bin so um drei oder vier heute Nacht angekommen. Aber ich hab abgewartet, weil ich ja nicht wusste, wer hier ist. Obwohl es sich sicher angefühlt hat.« Er tippte sich gegen die Schläfe, dann hielt er inne und starrte mit zusammengekniffenen Augen in die aufgehende Morgensonne hinter Daisys Schulter. » Ich war nicht allein. Wir waren zu viert. Bis wir nach King’s Lynn kamen.«
Er betrachtete seine Hand. Weitere Eiswürfel stiegen in Daisys Kopf auf. Sie sah zwei Mädchen und einen älteren Jungen in einem Meer aus gekrümmten Fingern und gefletschten Zähnen und großen Augen. Ihre Schreie hallten durch ihren Verstand, und einen schrecklichen Augenblick lang spürte sie ihre Schmerzen. Daisy keuchte, als wäre sie in einen vereisten Tümpel gefallen, und zwang die Eiswürfel so weit von sich weg, dass sie sie nicht mehr spüren konnte.
» Wir wurden angegriffen, als wir uns Benzin klauen wollten«, sagte er mit erstickter Stimme. » Ich musste sie zurücklassen. Ich… Sie hätten mich auch umgebracht.« Er hielt die bandagierte Hand in die Höhe wie eine halbherzige Entschuldigung. » Ich hab mir ein Fahrrad geschnappt. Damit bin ich bis hierher gefahren. Ich bin völlig fertig. Ist es okay, wenn ich mich aufs Ohr lege?«
» Zeigst du ihm die Personalumkleide?«, fragte Cal. Daisy schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht in die Nähe des toten Mannes gehen. Da blieb sie lieber im hellen Sonnenlicht, wo einen die Geister nicht erwischen konnten. Cal deutete auf den Notausgang. Die beiden Jungen duckten sich unter der Kette hindurch und verschwanden im Schatten.
Daisy sah nach links zur Vorderseite des Parks. Da wollte sie auch nicht hin. Dort lagen die letzten Ausläufer der Nacht noch über der Erde. Dort lag, was sie gestern Nacht in ihrem Kopf gesehen hatte, also ging sie nach rechts, wo es heller war. Die Sonne schien bereits über den Zaun, und sie hörte das sanfte Wispern der Wellen. Als sie um die Ecke bog und den Erdhaufen im wild wuchernden Gras neben dem Minigolfplatz sah, ging sie langsamer. Gestern Abend hatten sie und Cal Brick eine Ewigkeit lang beobachtet. Als sie in den Pavillon gegangen waren, hatte Brick immer noch geschaufelt.
Sie näherte sich dem Grab und dachte dabei an ihre Eltern. Ob sie jetzt auch unter der Erde lagen? Sie wischte sich wütend die Tränen aus den Augen, doch immer neue folgten. Wie konnten die Menschen das ihren Geliebten nur antun? Wie konnten sie sie in ein Loch werfen und Erde auf sie schütten und dann den Würmern zum Fraß vorwerfen? Ganz allein in alle Ewigkeit in der kalten dunklen Erde zu liegen war das Schlimmste, das sie sich vorstellen konnte.
Schnell entfernte sie sich vom Grab. Ein Klopfen ertönte in der Nähe. Als sie an der Rückseite des Parks entlangging, bemerkte sie, dass es aus einem der kleinen Metallschuppen kam, die am Zaun standen. Sie ging an mehreren der Schuppen vorbei, an denen Schilder mit » Strom« und » Wasser« und » Nicht betreten: Lebensgefahr« befestigt waren, bis sie eine offene Tür erreichte, auf der » Hausmeister« stand. Sie spähte hinein. Brick wühlte sich durch den Schrott im Schuppen.
» Was machst du da?«, fragte sie. Er sah kurz auf, dann machte er sich wieder daran, rostige Eisenplatten gegen die Schuppenwand zu werfen. Der Krach war ohrenbetäubend. Schließlich beugte er sich vor und hob etwas auf.
» Gefunden!«, rief er und trat aus dem Schuppen ins Sonnenlicht. Er hielt einen Hammer in die Höhe, der so verrostet war, dass es aussah, als hätte man ihn in Farbe getaucht. Statt eines Griffs besaß er nur noch einen kurzen Metallknauf. Brick marschierte in die Richtung davon, aus der Daisy gerade gekommen war. Er würdigte das Grab keines Blickes, sondern bahnte sich mit dem kleinen Hammer einen Weg durch den Minigolfplatzdschungel. Daisy folgte ihm und gab Acht, dass sie nicht von den zurückschnalzenden Ästen getroffen wurde.
Als sie ihn eingeholt hatte, war er gerade dabei, einen großen Nagel in den Zaun zu schlagen. Das sah ziemlich komisch aus, da der Hammer ja keinen Griff hatte, aber er schien
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