Panik: Thriller (German Edition)
drei Stunden und waren noch immer beim ersten Akt. Wenn das so weiterging, würde sie wohl erst am Wochenende nach Hause kommen. Und dabei war das noch die gekürzte Version des Stücks.
» Der Schurke Romeo!«, zischte Kim mit aller Boshaftigkeit, zu der sie fähig war, und schwang ihr Schwert.
» Seid ruhig, Herzensvetter, lasst ihn gehen«, sagte Ethan, der fette Junge aus Daisys Klasse, der ihren Vater spielte. Er trug eine Toga und hatte sich mit Eyeliner einen Spitzbart ins Gesicht gemalt, was ziemlich lächerlich aussah. » Ich möchte nicht für alles… Gut der Stadt in, äh, in meinem Haus ihm einen…«
» …Unglimpf tun«, vollendete Mrs. Jackson seinen Satz, ohne auf das Textbuch in ihrer Hand zu sehen.
» Ja, Unglimpf tun. Drum seid geduldig, merket nicht auf ihn. Das ist mein Will. So zeig dich freundlich, streich die Runzeln weg.«
» Kommt solch ein Schurk als Gast, so stehn sie wohl«, fuhr Kim fort. » Ich leid ihn nicht.«
» So, will Er ihn nicht leiden?– Helf mir Gott!– Will Hader unter meinen Gästen stiften?«, brüllte Ethan und schüttelte die Fäuste. » Will sich als starken Mann hier wichtig machen?«
Wie immer ertönte an dieser Stelle Gekicher, dessen Echo durch die große Halle gedämpft wurde. Mrs. Jackson zischte laut.
» Romeo?«, sagte sie schließlich. » Romeo?«
» Hä«, fragte Fred sichtlich verwirrt. Er stand auf der gegenüberliegenden Seite eines langen Tisches aus der Schulkantine. Dann spürte er, dass Daisy ihn anstarrte, hob den Kopf und sah ihr in die Augen. Sie wirbelte den Kopf so heftig herum, dass es in ihrem Genick laut knackte. Wieder wurde sie unter dem Make-up puterrot.
» Dein Einsatz, Fred.«
» Oh, äh.« Er legte beide Hände auf den Tisch und starrte Daisy an. Diesmal wandte sie sich nicht ab, sondern versuchte, sich in die Rolle eines jungen Mädchens zu versetzen, das Hals über Kopf in einen älteren Jungen verknallt ist. Es fiel ihr nicht schwer. » Entweihet meine Hand verwegen dich, O Heilgenbild, so will ich’s lieblich büßen. Zwei Pilger neigen meine Lippen sich, den herben Druck im Kusse zu versüßen.«
Aus den Augenwinkeln sah Daisy, wie Kim sich das Lachen verbiss, und musste alle Kraft aufbieten, um nicht selbst loszulachen.
» Nein, Pilger«, sagte sie mit zitternder Stimme.
» Lauter, Schätzchen, sonst kann dich weiter hinten keiner hören.«
Daisy räusperte sich und hob die Stimme, wobei sie sich nicht auf Freds Augen, sondern auf sein Kinn konzentrierte. » Nein, Pilger, lege nichts der Hand zuschulden für ihren sittsam-andachtvollen Gruß. Der Heilgen Rechte darf Berührung dulden, und Hand in Hand ist frommer Waller Kuss.«
» Sehr schön, Daisy«, sagte Mrs. Jackson und ruinierte damit alle dramatische Spannung.
» Haben nicht Heilge Lippen wie die Waller?«, fragte Fred.
» Ja, doch Gebet ist die Bestimmung aller.«
» O so vergönne, teure Heilge nun, dass auch die Lippen wie die Hände tun. Voll Inbrunst beten sie zu dir: erhöre, dass Glaube sich nicht in… Verzweiflung kehre!«
» Gerade noch«, sagte die Lehrerin.
» Du weißt, ein Heilger pflegt sich nicht zu regen, auch wenn er eine Bitte zugesteht«, sagte Daisy. Ihr Herz schlug so schnell, dass sie das Pochen in ihren Schläfen spüren konnte. Als hätte sie zwei Pulse, die im Takt trommelten. Noch drei Zeilen, dann kam der schönste– und schlimmste– Teil des ganzen Stücks. Sie trat einen Schritt nach links. Fred folgte ihr.
» So reg dich, Holde, nicht, wie Heilge pflegen, derweil mein Mund dir nimmt, was er erfleht«, sagte er und kratzte mit dem Fingernagel auf der Tischplatte herum. Jetzt wurde auch er rot. » Nun hat mein Mund ihn aller Sünd entbunden.«
Sie machten einen weiteren Schritt aufeinander zu. Nur eine Tischbreite war noch zwischen ihnen– gleich würde es so weit sein.
» So hat mein Mund zum Lohn Sünd für die Günst?«, sagte sie. Ihre Zunge war wie gelähmt. » ’tschuldigung, Gunst.«
» Zum Lohn die Sünd«, sagte Fred. Er murmelte nur noch, was ihm Mrs. Jackson diesmal durchgehen ließ. Er umrundete den Tisch, und Daisy trat auf ihn zu, bis sie sich gegenüberstanden und fast berührten. In Daisys Kopf dröhnte es– es war kein Schmerz, nur ein gewaltiger Druck, als würde ihr jeden Augenblick der Schädel platzen. Es war noch nie so ruhig in der Aula gewesen, in den Pausen zwischen den Worten hing eine unergründliche Stille. Alle hielten den Atem an. » O Vorwurf, süß erfunden! Gebt sie zurück!«
Fred
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