Panik: Thriller (German Edition)
wischte sie sich über die Augen und hoffte, dass sie nicht zu rot waren. Sie wollte ja nicht wie ein weinerliches Baby daherkommen. Schließlich holte sie tief Luft und ging über die Bühne, bis sie neben Emily stand, die fast einen Kopf größer war. Genau wie Kim. Fred überragte sie alle, sah auf Emily herab und lächelte. Sie hatte er jedenfalls noch nie so angelächelt.
» Verzeihung«, sagte Daisy. Nichts. Sie streckte den Arm aus und zupfte Emily am Ärmel. Emily sah zu ihr herab. Sie alle sahen herab, und ihr Lächeln verschwand wie eine Maus im Schatten eines Habichts. » Äh, ich spiele eigentlich die Julia«, flüsterte Daisy.
Emilys Augen schienen fast aus den Höhlen zu treten, dann drehte sie sich um und redete einfach weiter. Fred und Kim lachten über eine Bemerkung von ihr, die Daisy nicht verstehen konnte, weil ihr das Blut so sehr in den Ohren rauschte, als würde eine gewaltige Maschine zwischen ihren Schläfen rumoren.
» Das ist ein Irrtum«, sagte sie mit brennenden Augen. Nicht weinen, nicht schon wieder, reiß dich zusammen. » Ich… du bist immer noch die Zweitbesetzung.«
Sie sah Fred an, hoffte, dass er etwas sagen würde, ihr zu Hilfe kommen würde. Dass er sie nicht gerade anhimmelte, wusste sie bereits, aber immerhin hatten sie drei Wochen lang so getan, als wären sie ein Liebespaar und auch ein paarmal über die komische Situation gelacht. Bedeutete ihm das gar nichts?
Nein. Fred inspizierte seine Fingernägel, als würde er es nicht übers Herz bringen, sie anzusehen. Dabei war doch alles seine Schuld. Alle hatten gesehen, was er gestern getan hatte. Er hatte ihr ins Gesicht gespuckt, und nun dachten alle, dass sie der Loser wäre, mit dem man nicht mal mehr reden konnte. Daisy wandte sich wieder Emily zu. Eine dicke heiße Träne lief über ihre Wange.
» Aber du kannst noch nicht mal den Text«, sagte sie und wischte die Träne wütend beiseite. » Du warst doch gar nicht bei den Proben.«
Emily antwortete nicht. Sie packte die viel zu kurzen Ärmel ihres Kostüms– die Rüschen reichten ihr gerade bis halb über die Unterarme– und zog fest daran, um sie zu dehnen. Daisy schüttelte den Kopf und schmeckte Salz. Jetzt konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Das Kleid war extra für sie gemacht, ihre Mum hatte die Ärmel besonders sorgfältig genäht und auch die Länge des Kostüms so weit gekürzt, dass es ihr genau über die Knöchel reichte und sie nicht darüberstolpern konnte. Emily war für das Kleid viel zu groß. Sie sah aus wie eine Presswurst. Eine falsche Bewegung, und das Kleid würde platzen.
» Du machst es noch kaputt«, sagte sie, aber die drei lachten schon wieder. Fred konnte sich über eine Bemerkung von Emily gar nicht mehr einkriegen. Was fand er an ihr denn so lustig? Sie war einfach nur gemein. Bösartig.
Hinter dem Vorhang ertönte ein Ruf, dann bauschte er sich, und Mrs. Jacksons Kopf erschien in einer Falte. Sofort bemerkte sie das Durcheinander in den Kulissen und stürmte auf die Bühne.
» Hallo. Hallo!«, rief sie den Schülern zu, die dort herumtollten. » Ihr da, das ist nicht das angemessene Benehmen in einem Theater. Ihr setzt euch jetzt bitte sofort alle hin. Jeder, der nicht zusehen will, soll auf der Stelle gehen.«
Langsam verebbte der Lärm. Das Publikum nahm die Plätze ein, ein paar Schüler verdrückten sich durch den Ausgang.
Mrs. Jackson sah Emily an. » Bereit?« Emily nickte. » Sehr gut, dann runter von der Bühne mit dir, damit wir anfangen können. Ihr auch, Fred und Kimberly.«
» Mrs. Jackson«, sagte Daisy. » Was ist mit mir?«
Doch Mrs. Jackson war bereits in der Garderobe verschwunden.
Daisy stand da und umklammerte den Riemen ihres Rucksacks mit beiden Händen. Fred, Kim und Emily schlenderten immer noch kichernd in der Kulisse herum. Im Publikum wurde leise geflüstert, gelegentlich flogen vereinzelte Papierflieger durch die Luft. Plötzlich kam Daisy der erschreckende Gedanke, sie könnte gestorben, im Schlaf erstickt sein oder so. Anders war das hier alles nicht zu erklären. Am liebsten hätte sie laut losgeschrien– nur um der Menge zu beweisen, dass sie überhaupt existierte.
Es knarrte, die Deckenbeleuchtung verlosch, und die grellen Scheinwerfer, die auf die Bühne gerichtet waren, verschluckten Daisys Schatten. Jetzt kam sie sich erst recht wie ein Geist vor. Wieder ging der Vorhang auf, und Mrs. Jackson erschien. Sie ging in die Mitte der Bühne– nur drei Meter von Daisy entfernt–
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