Panter, Tiger und andere
Haremsdame heiratet, und der Landsturmmann bekommt viele Küsse, viele Wodkas und viele Rubel und fährt in die Heimat.
Als ich das Buch bis hierher gelesen hatte, zwinkerte ich erheblich. Was, August? du bist jahrelang mit diesem Haremsmädchen herumgezogen und willst uns nun einreden, du habest selbstlos, ohne einmal zu trinken, diesen Quell der Freude in seine Heimat transportiert? War Tatjana so keusch? Sie war es. Wenigstens dir gegenüber, August, denn am Schluß des Buches ist das Bild des Verfassers angebracht, und wenn er auch in Polen wohnt: Gott strafe mich, wenn er nicht sächselt. Er hat einen bunten Gummikragen und ein kleines Vorhemdbrettchen und einen geklebten Schlips und eine Brille und einen viereckigen Kopf. Du keusche Tatjana! »Der Verfasser ist früher jahrelang der Vorsitzende des Allgemeinen Stallschweizerbundes, Sitz Plauen, gewesen. Er besitzt umfangreiche Kenntnisse auf dem Gebiete der Rinderzucht, und ihm unterstanden schon vor dem Kriege große Rinderbestände von weit über hundert Stück. Seine Fachkenntnisse auf diesem Gebiet waren die Ursache für die ihm gewordene in Kriegszeit als Auszeichnung geltende Abkommandierung nach der Türkei zwecks Verwaltung des dortigen großen Rindviehbestandes.« Daß der Mann nicht Reichstagspräsident geworden ist –!
Wonach also festzustellen, dass auch diesmal am deutschen Wesen die Welt genesen ist, und dass unsere Fahnen kulturell und siegreich über den Zeltharems türkischer Paschas geflattert haben. Bitte erheben Sie sich von Ihren Sitzen und ehren Sie mit mir den Verfasser dieses aufschlußreichen Büchleins.
1929
Narkose durch Bücher
»Und wenn alles aus ist…«
Es ist niemals alles aus. Alles geht weiter – eine sehr schmerzliche Erfahrung, die man erst ziemlich spät lernt. Alles geht weiter. Was aber, wenn es doch weitergeht, und man denkt, alles sei aus… was dann?
Manche betrinken sich. Es steht einer Dame nicht wohl an, sich zu betrinken – wir sind doch hier nicht in Amerika.
Nun, also dann: eine neue Liebe? Nie wieder Liebe -! In den Romanen der neunziger Jahre vergaßen die Heldinnen im »Strudel des rauschenden und eleganten Vergnügungslebens« ihren Kummer – aber wo strudelt es denn heute schon und noch? Dann gibt es also nur ein Mittel, nein zwei.
Das eine ist: Narkose durch Bücher. Durch welche Bücher kann man das Leid betäuben? Das kommt auf die zu Betäubende an.
Ist es eine sehr kluge, eine sehr gebildete, eine sehr intellektuell trainierte Dame, dann mag es wohl sein, dass sie zu den Klassikern greift – zu deutschen oder zu französischen oder zu englischen; in diesen Büchern steht gewöhnlich immer ein Teil mehr, als man bei der ersten Lektüre herausgelesen hat. Man kann zum Beispiel in den Swift auch viel hineinlesen; das kann man nicht bei jedem Buch… Aber das ist noch nicht das Richtige.
Das Richtige ist: das intensive Buch.
Das Buch, dessen Autor dem Leser sofort ein Lasso um den Hals wirft, ihn zerrt, zerrt und nicht mehr losläßt – bis zum Ende nicht, bis zur Seite 354. Lies oder stirb! Dann liest man lieber. (Musterbeispiel dieser Gattung nicht etwa Wallace, der es ja nunmehr schon etwas reichlich grob treibt, womit nicht gesagt sein soll, dass er es nicht immer so getrieben habe) – Musterbeispiel: »Prinzgemahl« von Philip MacDonald. Davon gibt es natürlich viele hundert Beispiele. Betäubt dergleichen -?
Ja, es betäubt; diese Gattung Literatur betäubt. So, wie es gegen Kopfschmerzen ein wirkliches Universalmittel gibt: nämlich starke Zahnschmerzen -: so wird bei der Lektüre dieser modernen Märchenbücher nur ein kleines Feld im Gehirn angestrengt, der Rest ist gelähmt, er ruht… die Sache mit Martin wagt sich nicht hervor… für den Augenblick ist sie nicht da…
Der Autor schleppt die Liebeskranke (gibt’s!) durch die Dschungel und durch die Unterwelten der großen Städte; es knallt und es brennt; die Heldin stürzt mit rutschendem Büstenhalter aus dem 44. Stockwerk, und unten wartet der Befreier, weiter! weiter! Die Leidende liest weiter.
Sie liest, wenn sie allein ist, bei Tisch, zum Kaffee und den ganzen Nachmittag lang – und wenn sie noch so ein Buch hat, auch noch an diesen langen Abenden, die schlaflose Nacht werden wollen, die Stunden wollen nicht enden, der Schlaf kommt nicht… Er braucht nicht zu kommen. »Mit einem einzigen Blick übersah Jack die Situation. Er ergriff den Konservenbüchsenöffner, der auf dem Tisch lag, und stürzte sich auf den
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