Panter, Tiger und andere
vor den Fenstern des deutschen Stammtischlokals unterirdisch dumpf die Kegelbahnen donnern; ich höre nachts die Lokomotiven pfeifen, sehnsüchtig schreit die Ferne, und ich drehe mich im Bett herum und denke: »Reisen …«; ich höre, wie über mir die Hausfrau, die Megäre, trampelt, sie macht die Wohnung rein und sich schmutzig, sie führt Krieg mit den Polstern; ich höre, wie in Mitau Claire Waldoff aus dem Gram- mophon herausknarrte:
Als das Pauline hörte,
da rief sie überlaut:
»Viktoria! Viktoria!
Meine Mutter ist schon Braut -!«
Das hört mein Gehör.
Was schmeckst du, Walt Wrobel –?
Ich schmecke die untere Kruste der Obsttorte, die meine Tante gebacken hat; was die Torte anbetrifft, so hat sie unten ein paar schwarze Plättchen, da ist der Teig angebrannt, das knirscht im Mund wie Sand;
ich schmecke den kalten Tabak der Zigarre, die ausgegangen ist, und an der ich herumzutsche, weil ich es nicht weiß – die Zigarre lacht sich einen;
ich schmecke den Satz des türkischen Kaffees, die pulverdünn gemahlenen Körner bleiben zwischen den Zähnen sitzen;
ich schmecke den scharfen Geschmack von Kressenblättern; der preußische Kunstreferent im Ministerium kann das nicht schmecken, denn er hat keinen Geschmack;
ich schmecke die rauchige Würze alten Viktoria-Whiskys – Das schmeckt mein Geschmack.
Was riechst du, Walt Wrobel –?
Ich rieche die warme, wassergeschwängerte Luft der öffentlichen Schwimmhallen, untermischt mit der Ausdünstung von nackten Leibern;
ich rieche an mir selbst und finde mich durchaus sympathisch riechend;
ich rieche die frische Stube im Gebirge, es riecht nach Sonne, Holz und Thymian;
ich rieche die kräftige Mannesatmosphäre des Kaufmanns, der es gut meint, mir aber zu nahe auf den Hals rückt;
ich rieche den Teer- und Wassergeruch im Hafen von Rostock, das Wasser steht still, und die Luft spricht plattdeutsch;
ich rieche den realpolitischen Redner in der Deutschen Demokratischen Gesellschaft, aber ich kann ihn nicht riechen – Das riecht mein Geruch.
Was fühlst du, Walt Wrobel –?
Ich fühle in meinem Nabel eine kleine Wollkugel, die sich da weiß und dick aufhält, liebevoll grabe ich sie hervor;
ich fühle ein neues Gefühl an ungeahnten Orten, wenn mir der witzige Nasenarzt mit einer Stricknadel ins Ohr fährt;
ich fühle im Unterfutter einen Bleistift, den ich lange verloren wähnte, ein rundes Geldstück und ein unbekanntes Ding;
ich fühle den vertrauten Widerstand einer alten, bekannten Klinke;
ich fühle das harte Messingteil des Strumpfbandes meiner Geliebten auf meiner Backe, die ich daran gepreßt habe, als das Band auf dem Tisch lag;
ich fühle die Wollust, aber ich kann sie nicht beschreiben, denn in meinem Konversationslexikon steht: »Wollust (siehe Zeugung), nicht näher zu beschreibendes Gefühl…«– Dies fühlt mein Gefühl.
Fünf Sinne hat mir Gott, der Herr, verliehen, mit denen ich mich zurechtfinden darf hienieden:
Gesicht, Gehör, Geschmack, Geruch, Gefühl.
Fünf Sinne für die Unermeßlichkeit aller Erscheinungen.
Unvollkommen ist diese Welt, unvollkommen ihre Beleuchtung.
Bei dem einen blakt die eine Laterne, bei dem ändern die andere.
Sieht ein Maulwurf? Hört ein Dackel? Schmeckt ein Sachse? Riecht eine Schlange? Fühlt ein preußischer Richter?
Gebt Licht, Laternen! Stolpernd sucht mein Fuß den Weg, es blitzen die Laternen. Mit allen fünf Sinnen nehme ich auf, sie können nichts dafür: meist ist es Schmerz.
1925
Erfüllung
Wie Wagenpferde, die schwer gezogen haben, getränkt werden –: das sehe ich so gern. Da stehen sie, mit nassem Fell, die Schweife wedeln ganz matt, sie lassen den Kopf hängen, und das eine stößt das andre, das grade trinkt, beiseite. Man sieht das Wasser in seine Kehle hinuntergleiten, es schlürft; alles an ihm ist Gier, gesättigte Gier, frische Gier und Befriedigung. Dann trinkt das zweite, und das erste sieht zufrieden vor sich hin, aus dem Maul rinnt ihm Wasser in langen Fäden…Das ist schön. Ich möchte den Kutscher streicheln, der ihnen da seinen Eimer hinhält. Warum ist das schön –?
Weil es erfüllte Befriedigung ist, die ist so selten. Es ist legitimer Wunsch, erarbeiteter Lohn, Notwendigkeit, und eine erquickende Spur Wollust ist auch darin. Auch tut es niemand wehe; keine Spinne tötet hier die mit großem Fleiß eingefangene Fliege, ihren ebenso naturhaften Hunger zu stillen, und die Mikroben im Wasser werden wohl keine Schmerzen erleiden, wir wollen uns da
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